Spontan Zeichnen und unsere Vorbilder

Spontan Zeichnen – Was ist gute Malerei?


Spontan Zeichnen wird sehr bewundert, auf dem Weg dahin stehen uns allerdings oft klassische Kunstbegriffe im Weg. In der Malerei oder beim Zeichnen geht es darum Gefühle zu transportieren, das vergessen wir aber allzu oft. Wenn wir Ansprüche an uns selber stellen, sind wir oft allzu hochtrabend.Wenn Schüler in meinem Atelier ankommen und ich frage, wie sie denn mal malen wollen, dann erzählen Sie mir ganz oft von klassischen Meisterwerken. Die sixtinische Kapelle, der nackte David oder ganz bemerkenswerte Bilder prominenter Maler. 

Michelangelo [Public domain], via Wikimedia Commons

An diesen Wünschen ist prinzipiell nichts auszusetzen, doch insgesamt ist es bei uns Menschen so:

Nichts ist gewöhnlicher, als der Wunsch bemerkenswert zu sein. (Shakespeare)

Bei diesen hochtrabenden Ansprüchen vergessen wir allzu oft, dass es sehr oft das Einfache und Alltägliche ist was bewegt.

Viele meiner Schüler sind sehr enttäuscht, wenn sie solche Motive malen, das Ergebnis ist mitunter durchaus toll, aber die Motive frustrieren, weil sie zu immer mehr Perfektion aufrufen und selbst kleinste Fehler auffallen. Dabei sind selbst tolle Ergebnisse oft sehr steif, sie gehen nicht ans Herz, denn das was man als gute Kunst versteht, kommt aus der Renaissance und der Lebensalltag der Renaissance hat einfach nichts mehr mit unserem heutigen Lebensalltag zu tun. Und es bliebe noch die Frage, wie viel Aufsehen so ein nackter David an einer Straßenecke in Florenz in der Renaissance hervorgerufen hätte.


Perfektion geht nicht ans Herz


Wir vergessen bei der kühlen Schönheit des David, dass die kleinen alltäglichen Dinge, die wir für ganz selbstverständlich halten, oft viel tiefer beeindrucken und ans Herz gehen.

Solche monumentalen Werke, wie von Michelangelo, haben natürlich Generationen von Malern und Bildhauern geprägt und sind tief in unseren Werten über Kunst verankert.

In unserem Kopf ist die Bewertung gleich klar: “ Klar, es ist ein Michelangelo, das muss große Kunst sein!“

Der Umkehrschluss, dass wir jetzt alle wie Michelangelo malen müssen um kleine Kunstwerke zu erzeugen, ist jedoch falsch.

Sind wir denn verrückt geworden?  Wieso glauben wir, dass die  Darstellung alter Meister so unglaublich viel besser ist als das, was wir im Alltag tun können?

Vittoria Colonna. Ritratto di Michelangelo. ~1550: British Museum, London gemeinfrei

Michelangelo eine Zeichnung 500 Jahre alt

Die Erkenntnis, dass so große Ikonen wie Michelangelo beim spontanen Zeichnen nicht viel besser sind als wir, hat doch etwas beruhigendes. Wenn man sich diese Skizze von Michelangelo anschaut, dann sieht man dass sie genau auf dem Niveau ist, welches viele Künstler heute in sozialen Netzwerken posten. Da halten wir doch mit unserem Schulfüllhalter mit! Im Facebook oder im Flickr würde heutzutage niemand bei dieser Zeichnung Hurra schreien, diese Zeichnung von Michelangelo wäre schlicht und einfach eine unter vielen.

Ich finde, wir sollten nicht auf die Knie fallen und uns demütig vor Kunstbegriffen beugen, die nichts mit unserem Alltag zu tun haben.  Der Kopf ist viel freier, wenn man ihn nicht mit den Meinungen toter Menschen voll stopft.

Wir haben heute selber Geschichten zu erzählen.

Nicht dass ich Michelangelo nicht toll finde, ganz im Gegenteil, aber ich finde ob man nun gern klassisch malt oder modern oder abstrakt, wichtig ist, dass wir unsere eigenen Darstellungsformen im Alltag finden können.

Wenn du anfängst mit dem spontan Zeichnen, dann solltest du nicht immer ängstlich fragen: Oh Gott, sieht es aus wie ein alter Meister?


Alltägliche Schönheit in eigener Kunstformen finden


Man muss kein neuer Michelangelo sein um kleine Schönheiten zu erstellen, durch ganz kleine und alltägliche Grafiken und schlichte Kritzeleien kann man Herzen bewegen, dieser Zusammenhang macht es einem sehr leicht.


 

Der kleine Michelangelo im Alltag


Ich habe ein echtes Problem, den ganzen Tag bringe ich Menschen das Zeichnen und Malen bei und das liebe ich. Für mich ist das kein Beruf, sondern eine Berufung! Wenn die anderen Sorgen und Nöte beim Zeichnen und Malen haben, dann muss ich da sein, weiterhelfen und in den Arm nehmen.

Damit ich selbst das Glück des spontan Zeichnens im Alltag nicht vergesse, mache ich Zeichnungen auf Bierdeckeln, kleine schnelle Beobachtungen.

Vor ca. sechs Jahren begann ich intensiv zu Zeichnen, ich habe vorher gemalt, aber das Zeichnen fiel mir schwer. Mein Ziel war es bessere Vorzeichnungen für meine Ölmalerei zu machen. Zuerst hatte ich den Gedanken ganz klassisch zu zeichnen.

 

Tine Klein Portrait von Pierre Bonnard

Im Laufe der Zeit ist aber aus diesen kleinen Zeichnungen etwas Rasanteres geworden. Ich habe meine eigenen Ansprüche ans Zeichnen überdacht, spontanes Zeichnen ist mir immer wichtiger geworden. Ich male, wie andere ihre Handykamera benutzen und empfinde es als Riesenglück. Diese Art des Zeichnen machte mich schnell gut, der Stift wurde zu meiner Sprache. Damit meine ich nicht so kleine Portraits, die ich auch mal gerne von alten Fotos abmale,  nein ich liebe die spontanen Zeichnungen.

Spontan zeichnen das ist wie eine Safari, auf der Jagt nach Gefühlen.

Es gibt jeden Tag Unglaubliches zu beobachten, zum Beispiel: Der erste Zahn ist weg:

 

Spontan zeichnen-Tine Klein-Skizze auf Bierdeckeln

Natürlich ist das kein Michelangelo, aber es macht doch Spaß. Schön dass ich mich an diesem Moment immer mal wieder erinnern darf.

Der Alltag hat viel zu bieten, witzige und skurrile Momente über die man lachen musste, aber wenn man sie nicht malt vergisst man sie, diese großartigen Momente sind einfach viel zu schade um sie zu vergessen.

Für mich ist Malen auch Nachdenken, deswegen male ich auch Momente, die ich eigentlich lieber sofort vergessen möchte:

Spontan zeichnen-Tine Klein-Skizze auf Bierdeckeln

Pubertät es etwas idiotisches, leider ist sie sehr wichtig für den Menschen, nichts desto trotz hat sie schon so manch einen in den Wahnsinn getrieben.

Gerade wenn ich über Trauriges nachdenken muss, sind meine Stifte oft sehr hilfreich. Ich kann mit meinem Stift Gefühl viel eher auf einen Punkt bringen. Oft sind mir die traurigen Bilder, die nie gezeigt werden, die Nächsten.

Spontan zeichnen-Tine Klein-Skizze auf Bierdeckeln

Das Weinen, wie das Lachen, banne ich auf Bierdeckel, all die Dinge eines gefüllten Leben.

Spontan zeichnen-Tine Klein-Skizze auf Bierdeckeln

Auch wenn man vielleicht nicht bei jeder Zeichnung das Gefühl hat, dass man auf die Meisterschaft zustrebt. Und gerade wie bei diesen Bildern, die schon etwas älter sind, denke ich oft, „Oh Gott, oh Gott,  würde ich heute anders machen“, das Gefühl steckt ihn ihnen und damit sind sie wertvoll.

Spontan zeichnen-Tine Klein-Skizze auf Bierdeckeln

Spontan Zeichnen, das heißt Dinge festhalten, die sonst sehr schwer greifbar wären. Alltägliche Beobachtungen sind die interessantesten Motive, denn in ihnen steckt die Wahrheit.

Auf diese Art und Weise entstehen ganz besondere Fotoalben. Ich male mein Leben, gemalte Fotoalben mit Lachen und Weinen und  tollen Erlebnissen. Diese Art und Weise des Zeichnen hat mich persönlich ganz langsam gut gemacht.

Keine großen Oelschinken, keine Michelangelos, mein Leben und mein Stift wir sind Eins.

Material: Bierdeckel und wasserfeste Tinte und Bleistift

Liebe Grüße

Tine

Schaut mal in dem Artikel kann man auch mal ein Urban Sketching von Michelangelo sehen:

www.geo.de/magazine/geo-epoche-edition/1068-rtkl-portfolio-michelangelo-buonarroti

Wenn ihr noch ein bisschen weiter lesen wollt, es gibt noch einen Artikel zu spontaner Motivauswahl.

Hier weiter im Blog

 

 

 

3 commentaires sur “Spontan Zeichnen und unsere Vorbilder

  1. Liebe Tine, vielen Dank für diesen wunerbaren Beitrag! Du hast ja so recht … jeder soll sich auf seine ureigenste Art und Weise ausdrücken, mit anderen, vielleicht vermeintlich besseren zu vergleichen ist unsinnig. Von anderen lernen wollen – wie hat der/die denn das gemacht, das wollte ich schon immer erreichen – das ist legitim. Solange man nicht NUR kopiert sondern versucht seine eigene Ausdrucksweise zu finden, ist das alles Okay.
    Vor vielen Jahren habe ich die Techniken des Malens gelernt indem ich Alte Meister kopierte. Ich wollte wissen wie die das gemacht haben, wie diese Techniken funktionieren. Ich wollte wissen wieso der Goldhelm bei Rembrandt so echt aussieht …
    Auch heute noch lerne ich von anderen, obwohl ich heute mehr von der emotionalen Ausdruckskaraft mancher Künstler beeindruckt bin und versuche, mich meiner eigenen zu nähern.
    Liebe Grüße Rolf

  2. Hallo Tine,
    Danke für deinen tollen Block. Der hat bei mir schon das reinste Suchtpotential. Die Beiträge sind so kurzweilig zu lesen. Ich giere schon ab Mittwoch drauf!!! …und wenn ich es nicht mehr aushalte, dann ziehe ich mir die alten Beiträge wieder rein.
    Lieben Gruß
    Eva

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