Das Malen, die Zeichnung und die Wahrnehmung

Na, wo ist dieses Bild gemalt worden?

Blöderweise anscheinend in meinen Kopf und nicht da wo mein Körper saß! Die Straße ist in Penang, die Armenian Street. Mein erstes Bild in Malaysia.

Wir sehen nur was wir kennen!

Diese Tatsache ist besonders wichtig in der Zeichnung und auch beim Malen.

Wir sehen oft nur Dinge die uns beschäftigen. Autos sind mir egal. Immer, wenn sich mein Mann ein neues Auto kaufen will, dann sagt er: “Schau die mal dieses Auto an, wie gefällt dir das?“ Dann sage ich: “Oh, das ist wirklich schön, aber ich glaube, das habe ich noch nie gesehen.“ Tatsächlich passiert dann etwas Merkwürdiges, nachdem mein Mann mich zu diesem Auto befragt hat, sehe ich es dann plötzlich in den folgenden Tagen immer häufiger. Plötzlich interessiere ich mich für das Auto, weil mein Mann es kaufen will und  sehe ich dieses Auto dann ständig.

Selektive Wahrnehmung – Scheuklappen auf der Nase

Lustigerweise denken wir alle, dass das was wir sehen genau das ist, was wahr ist. Wir sollten uns vielmehr darüber klar sein, dass wir alle eine dicke fette Brille auf der Nase haben die unsere Wahrnehmung begrenzt.

Unser Gehirn hat eine Schutzfunktion gegen Reizüberflutung. Wusstest du, dass das das Gehirn alles überflüssige ausblendet?

Hast du gemerkt das ich gerade eben oben im Satz 3 DAS benutzt habe und nicht nur 2wei?

Konzentration unsere grösste Stärke und Schwäche

Unser Gehirn ist ein Faulpelz, es konzentriert sich darauf mit den Fakten zu arbeiten, die es kennt. Diese Fakten werden dann immer wieder verdaut und als Lösung ausgespuckt. Im Alltag ist dies äußerst hilfreich, denn wir müssen nicht lange grübeln um ein Problem zu lösen oder eine Alltagstätigkeit auszuüben, wir haben es gelernt und wir wissen wie es geht. Das ist großartig! Insbesondere bei der Zeichnung wird dieser Zusammenhang später noch sehr wichtig.

Wenn uns etwas vertraut ist, dann können wir es trotz gröbster Fehler ganz easy bewältigen:

Gmäeß eneir Sutide eneir elgnihcesn Uvinisterät, ist es nchit witihcg, in wlecehr Rneflogheie die Bstachuebn in eneim Wrot snid, das ezniige was wcthiig ist, ist, dass der estre und der leztte Bstabchue an der ritihcegn Pstoiion snid. Der Rset knan ein ttoaelr Bsinöldn sien, tedztorm knan man ihn onhe Pemoblre lseen. Das ist so, wiel wir nciht jeedn Bstachuebn enzelin leesn, snderon das Wrot als gseatems.

(Dieser Text stammt aus dem Facebook, woher weiß ich nicht ganz genau er wurde tausendfach geteilt) Also meckert hier nie wieder über meine Rechtschreibung

So ein Buchstabensalat macht natürlich Spaß und es zeigt wie gut unser Gehirn mit bekannten Dingen jonglieren kann. Eben weil wir ebenso brillant darin sind uns Lösungen aus dem Bekannten zu basteln, machen wir es gerne.

Die Macht des Bekannten

Mein erstes Aquarell in Malaysia machte ich früh morgens auf der Straße. Kiah Kien setzte mich an einer Straßenecke, in der Altstadt von Georgetown, ab. Dort setzte ich mich auf mein kleines Höckerchen und begann ohne nach zu denken zu malen. Die Armenian Street ist eine Straße, die auf dem ersten Blick auch in England oder den Niederlanden stehen könnte. Die klassische Architektur kleiner Handelshäuser in Backstein, unten das Geschäft und oben das Wohnen. Da ich selbst an der Grenze zu den Niederlanden geboren wurde, ist mir diese Architektur total vertraut. Noch vertrauter ist mir das Zwiebeltürmchen, denn die meiste Zeit verbringe ich in der Schweiz oder in Süddeutschland.

Also hat mein Gehirn aus lauter Vertrautem ganz ruck zuck eine europäische Stadt gebaut.

Ich weiß, dass das Bildes ganz schön geworden ist, ich bin auch durchaus nicht unzufrieden.

Dennoch ist es viel wichtiger sich dann ein wenig zurück zu lehnen und mal darüber nachzudenken, was wir eigentlich anders ist. An vielen kleinen Details kann man in der Armenian Street erkennen, dass sich hier chinesische Architektur mit europäischer Architektur gemischt hat. Doch auf den ersten Blick war ich nur in der Lage das zu sehen, was ich kannte. Der hübsche kleine Kirchturm hat sich bei einem späteren Spaziergang als eine riesige Moschee entpuppt, deren großen Kuppeln ich hinter den Häusern nicht sehen konnte.

Das Wesentliche sehen oder auch nicht

Als ich mittags mit KK essen ging, hatten wir eine merkwürdige Diskussion, er beschrieb mir wie chinesisch diese Häuser doch sind und ich konnte es nicht sehen. Für mich waren diese Häuser einfach nur kolonial.

In der folgenden Woche habe ich mich dann auf die Motive gestürzt, die wirklich anders sind, also die Moscheen und die chinesischen Tempel.

Weil mein Gehirn ein absolut störrischer Esel ist, wollte mein Gehirn einfach nicht sehen was anders ist. Ich bin so daran gewöhnt, das Wesentliche aus einem Motiv herauskristallisieren, damit es nicht total überfrachtet ist, dass mir einfach diese kleinen chinesischen Details völlig durch die Lappen gingen. Es war völlig verrückt, mein chinesisch stämmiger Freund sieht nur Chinesisches und ich sehe nur Europäisches.

Solche Sehblockaden beeinflussen die Zeichnung oder das Aquarell enorm. Einerseits machen Sie es uns sehr einfach gute Ergebnisse auszusuchen, wenn man sich jetzt mal die Bilder von so einigen Star Aquarelllisten ansieht, dann merkt man; hoppla egal wo der Mann ist hier ist ein und dasselbe Sehmuster am Werk.

Erkennen wie der Mensch tickt

Die Zeichnung ist ein wunderbares Instrument um zu erkennen, wie man selbst denkt, was man nicht sieht oder was die anderen sehen.

Eine Bekannte von mir, sie heißt Si, ist eine ganz wunderbare Künstlerin. Sie zeichnet ganz exzellent. Sie fertigte eine Zeichnung von meinem Mann an und in dieser Zeichnung sieht mein Mann aus wie ein alternder Chinese.

Diese Zeichnung hat mir viel Freude bereitet, auch wenn sich meine Freundin fürchterlich geärgerte, weil das Malen nicht so lief wie sie wollte. Mir hat diese Zeichnung gezeigt, dass es uns allen doch irgendwie gleich ergeht.

Auf unseren Augen sitzen die Scheuklappen unseres Lebens.

Und die Zeichnung ist ein wunderbares Mittel um sich selbst diese Scheuklappen von den Augen zu reißen.

Dies ist auch der Grund, warum viele Universitäten immer noch viel Wert auf das Zeichnen legen. Das an sich ist ja eigentlich schon unlogisch, weil wir leben in einem digitalen Zeitalter, wo doch hier alles fotografiert werden kann. Trotzdem gibt es immer noch solche Berufe wie zum Beispiel Grabungszeichner in der Archäologie. Der Grund ist dass sich ein Zeichner viel länger mit einem Objekt beschäftigt, das Malen erzeugt ein tiefes Verständnis. Ein kurzer Blick auf eine gestochen scharfe Fotografie ist nicht das Gleiche.

Wer zeichnet, denkt nach und kann Zusammenhänge erkennen. Deshalb lege auf Die Zeichnung nicht den besonderen Wert. Der eigentliche Luxus ist nicht nur das Malen. Mein Luxus war in Georgetown an einer Straßenecke im Streulicht der bewegenden Blätter eines mir unbekannten Baumes zu sitzen . Das wunderschöne Licht und der Baum stecken in dieser Zeichnung. Eine von vielen guten Erinnerungen in meinem Leben und eine kleine Zeichnung, die mich daran erinnert dass ich blind bin, aber daran kann ich ja auch etwas ändern.

Liebe Grüße

Tine

Besser malen lernen durch Respektlosigkeit

Besser Malen lernen durch Respektlosigkeit

 

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