Achtung, Zusatzkurs!
Weil letztes Jahr so viele von euch keinen Platz im Himmelskurs bekommen haben, gab es ordentlich Frust. Boesner war jetzt so nett und hat einen zusätzlichen Termin für uns gefunden – damit alle, die wollten, auch wirklich mitmachen können!
https://www.boesner.ch/unsere-standorte/unterentfelden/veranstaltungen/himmlisch-gut-2-16193
Formgebung durch Schatten im Aquarell
Schnelles Urban Sketching: 20-Minuten-Aquarellskizze aus Calella.
Das Aquarell sieht am schönsten aus, wenn es locker, schnell und luftig ist. Der größte Feind des Aquarells ist die Überarbeitung – das heißt, das Aquarell oder eine Skizze wird nicht besser durch zu viel. Im Gegenteil: Je mehr wir darüber brüten, je mehr wir korrigieren, umso schwerfälliger wirkt das Bild. Und plötzlich ist die Leichtigkeit dahin, die das Aquarell doch so unverwechselbar macht.
Doch wie schafft man es, mit wenigen Pinselstrichen Formen zu gestalten, Raum zu zeigen und dabei die Frische zu bewahren? Eine der schönsten und zugleich raffiniertesten Möglichkeiten ist das Malen mit Schatten – und das bewusste Gestalten von Negativformen.
Gestalten durch Negativform – das Unsichtbare durch Schatten sichtbar machen
Man kann das ganze Haus durch den blauen Hintergrund dahinter zeigen. Doch raffinierter und spannender wird das Prinzip an weniger offensichtlichen Beispielen.
Vielleicht kennst du das: Ein weißer Sonnenschirm spannt sich auf, und obwohl der Stoff fast blendend hell ist, wird der Schirm vor allem durch die Schatten darunter sichtbar.
Wenn man den Schirm malt, dann verliert das gesamte Bild sein Licht.
Deshalb wird der Schirm selbst nicht gemalt, sondern das, was ihn umgibt – der Schattenwurf auf dem Boden, die kühle Fläche auf dem Tisch, das Halbdunkel der Stuhlbeine unter dem Schirm.
Genau das ist das Prinzip der Negativform. Wir malen nicht den Gegenstand – wir malen das Drumherum, das, was den Gegenstand erst sichtbar macht.
Der weiße Sonnenschirm braucht keinen Pinselstrich auf seiner Fläche. Er erscheint von selbst, wenn wir den Schatten darunter und um ihn herum andeuten.
Dieses Konzept ist ein Schlüssel zu einer lebendigen, lockeren Malerei.
Das Raffinierte dabei ist, dass der Sonnenschirm keine Umrahmung hat.
Auch wenn es uns unangenehm vorkommt, eine Form nicht ganz konkret zu malen oder zu zeichnen.
Auch wer mit dem Stift arbeitet, darf hier keine Umrahmung setzen, denn diese zerstört die Wirkung des Lichts. Statt jede Fläche mühsam auszumodellieren, lassen wir Formen entstehen, auch wenn das bedeutet, dass Teile der Form nicht genau definiert sind. Unser Vorteil ist: Wir werden effizient, indem wir nur gezielt das Umfeld gestalten.
Und Schatten sind dafür ideal – sie sind wie die sanften Helfer, die mit einem einzigen Pinselstrich Raum, Tiefe und Licht ins Bild zaubern.
Warum Schatten- und Negativformen so gut zusammenpassen
Schatten sind wie dafür geschaffen, um Negativformen zu gestalten. Sie umschreiben, umfließen, rahmen. Ein gut gesetzter Schatten lenkt den Blick des Betrachters automatisch auf das Licht. Statt Licht zu malen – was im Aquarell oft schwer ist, weil das Papier ja bereits unser hellstes „Pigment“ ist – malen wir die Schatten.
Schatten geben den Formen Halt. Schatten definieren.
Auch Zeichner sollten dies tief im Herzen behalten: Das Licht braucht keine scharfe Umrandungslinie, es wird sichtbar durch den Schattenwurf, der ja die direkte Auswirkung des Lichts ist.
So entsteht mit wenig Aufwand ein vielschichtiges, lebendiges Bild.
Mehr als nur Grau
Viele malen Schatten in neutralen Tönen. Doch Schatten sind ein wunderbares Feld, um Farbe ins Spiel zu bringen. Sie können Stimmungen transportieren, das Bild interessanter und harmonischer machen.
Denk zum Beispiel an den Halbschatten am Giebel eines Hauses: Ein klein wenig Orange im Schatten lässt das Dach lebendiger wirken, gibt dem Betrachter schnell die Idee: „Ach ja, die Ziegel sind ja Terrakotta!“
So spielt man durch die Farbe des Schattens mit der Fantasie des Betrachters.
Der Schattenwurf auf einem sonnigen Platz darf einen Hauch von Blau oder Violett haben, um die Wärme des Lichts der Umgebung zu betonen. (siehe oben)
Schatten und Komplementärfarben
Gebrochene graue Töne entstehen oft durch komplementäre Farben. Meine schönsten Paare sind:
• Ultramarin und Siena gebrannt
• Kaltrot (z. B. Opera Rose) und Türkis
• Violett und gelbliches Braun
Wie du an den Beispielen merkst:
Die Paarung der Farben muss nicht lehrbuchhaft komplementär sein.
Es reicht, wenn die Farben so nahe am Komplementärkontrast liegen, dass für die Schatten schöne gedämpfte Töne erzeugt werden.
Bloß nicht zu viel mischen!
Schatten wirken dann besonders schön, wenn sie nicht monoton grau sind.
Wer fertig angerührte Schatten kauft, bezahlt damit, dass die Farbgestaltung nicht mehr so schön und lebhaft ist.
Ein Schatten wirkt oft gerade dann sehr attraktiv, wenn die Mischfarben aufblitzen. Mische ich also einen Schatten aus Burnt Sienna und Ultramarin, so ist der Schatten nicht nur grau, sondern ich kann ihn mal orange oder blau blitzen lassen!
Dies ist besonders wichtig, weil die Komplementäre sich gegenseitig zum Leuchten bringen.
Gerade in den Halbschatten kannst du mit Komplementärfarben spielen: Ein grüner Baum bekommt Tiefe, wenn der Schatten darunter einen leichten Rotton enthält. Es lohnt sich, hier mutig zu sein. Der Schatten muss nicht exakt „richtig“ sein – er muss wirken.
Weniger ist mehr – der Charme des Unvollendeten
Das Schöne an dieser Art des Malens ist: Du musst gar nicht alles ausarbeiten.
Der Betrachter füllt mit seinen Augen und seinem Gefühl aus, was du nur andeutest.
Wir brauchen nur die guten Formen des Schattens, der Rest entsteht wie von Zauberhand.
Du solltest dir die Frage stellen: Ist das nötig?
Stützt es die Form oder die Aussage des Bildes? Wenn nicht, lass es weg. All diese kleinen Dinge machen ein Bild sonst so unordentlich wie die Wohnung eines Messies.
Der weiße Raum des Papiers ist dein Verbündeter, weil er deine Bilder frisch, klar und übersichtlich macht!
Fazit: Schatten sind Formgeber mit Charme
Verschattungen im Aquarell sind weit mehr als nur graue Flächen. Sie sind das Werkzeug, mit dem du Licht sichtbar machst, Formen entstehen lässt und dein Bild mit Leben füllst. In Kombination mit dem Malen von Negativformen entfalten sie ihre ganze Kraft und Geschwindigkeit.
Sie erlauben es dir, luftig und locker zu bleiben, Wenn du minimalistisch malst dann gebe den Schatten Liebe.
Faustregel: nicht nur Grau, sondern teilweise wunderbar farbig.
Liebe Grüße
Tine
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