Jeder der normal sehen kann, geht erst einmal davon aus, dass er sehen kann und das alle Anderen ganz genau so sehen wie er selbst.
„Ich kann es einfach nicht sehen!“ ruft mein Freund Jo aus und möchte einfach ins Skizzenbuch beißen!
Zu sehen, was man zum Kunst machen sehen muss, ist in der tat eine Kunst!
Jo, glaubt er sieht falsch! Tut er aber nicht! Er sieht einfach nur wie Joachim.
Als ich klein war spielte ich mit meinem Brüdern abends im Bett ein Spiel,
Ich sehe was was Du nicht siehst…..
Dabei ging mir das erste Mal auf, dass meine Brüder ganz andere Dinge sahen als ich. Das Kinderzimmer schien für meine Brüder ganz anders auszusehen als für mich!
Kinder sind schlau, dass ganze Spiel beruht darauf, dass sehen etwas ganz Persönliches ist.
Sehen lernen für die Kunst
Für die Kunst muss man sehen lernen, allerdings gibt es da zwei Sichtweisen.
Das eine ist das Sehen und Umsetzen von Proportionen, dieses Handwerk kommt von ganz allein.
Das andere ist die persönliche Sicht auf Dinge, wenn du Dir die abgewöhnst und als Fehler betrachtest, dann ist deine Kunst tot.
Das Ssehen von Licht ist für mich ein Vergnügen, ich lasse mich in einem Meer von unsichtbaren Farben treiben.
Tine Klein: Blick von der Kollwitz Straße
Um richtig zu sehen für die Kunst ist es sinnvoll, dass richtig und falsch Konzept von „das ist so“ zu überdenken.
Wenn ich jetzt dort sitze, sehe ich wie sich das Licht mit den ziehenden Wolken verändert.
Autos und Menschen kommen und gehen und der Duft von Schokotorte ist auch dabei.
Dadurch kann ich eine viel persönlichere Farbdarstellung machen, Jo, kann sie nicht sehen, denn sie entsteht in meinem Kopf und hat nichts mit einem Foto zu tun.
In Jo steckt etwas viel Besseres, es ist Jo´s Sicht und dafür muss man Mut haben, sich hinsetzen und den Blick nach Innen wagen, wie sehe ich die Welt?
Jo hat mir erzählt, dass er sich eine Stunde vor ein graues Auto gesetzt hat und danach erstaunt feststellte: „Das Auto ist gar nicht grau“. Durch diese verrückte Aktion setzte Jo´s eigener Blick ein.
Sehen ist etwas ganz persönliches, woran liegt das?
Das Sehen etwas ganz persönliches ist, weiß man schon recht lange. Der berühmte Rorschachtest (also der Test bei dem man Menschen einfach einen Tintenklecks unter die Nase hält und er soll erzählen was er sieht!) sagt viel über Menschen aus und ist noch heute einer der ganz wichtigen Tests um herauszufinden wie Jemand sieht und fühlt.
Bitte macht Euch ganz klar: Es würde diesen Test nicht geben, wenn wir alle das gleiche sehen würden!
Rorschach 1:
Keine Sorge, das wird heute kein Psychotanten-Blog. Es geht nur darum herauszufinden wie wir sehen. Was siehst du? Du wärst überrascht wie unterschiedlich die Wahrnehmung von Menschen ist! Frag doch mal was deine Familie sieht?
Ein Auge ist ein Stückchen Gehirn:
Ich sehe 2 Engel die einen neuen Stern erschaffen, der Weltraum ist ihre Staffelei. Sie stehen dort und zeigen auf den Stern und freuen sich.
Wenn Du etwas anderes siehst, zum Beispiel einen Schmetterling oder eine Motte, dann ist das überhaupt nicht Falsch!
Ich stehe fast jeden Tag in genau dieser Körperhaltung gemeinsam mit meinen Malschülern vor Staffeleien, zeige darauf und wir sprechen dann über das Erschaffene.
Ich sehe meine Erfahrung
Was ich sehe ist meine Erfahrung. All meine Erfahrungen wurden seid meiner Geburt zu einer grauen Masse zwischen meinen Ohren verdichtet:
Das Gehirn die Summe unserer Erfahrungen
Du bist ein Unikat
Wenn Jo jetzt in mein Skizzenbuch schaut und in seinem Skizzenbuch etwas anderes findet, dann ist dies kein Grund hineinzubeißen. Jo müsste eher beunruhigt sein, wenn er in sein Skizzenbuch schaut und dort exakt das findet, was er bei mir findet.
Du bist ein Unikat!
Zeichnen lernen heißt sehen lernen
Eine Frage zum Nachdenken:
Wie sollen wir richtig sehen lernen, wenn doch Alle anders sehen?
Sehen ist ein absolut komplexer Vorgang der sich zu allergrößten Teil im Gehirn abspielt.
Unsere Gehirn filtert die Milliarden an Informationen die es ständig bekommt. Du würdest wahnsinnig werden, wenn dies nicht jederzeit tun würdest. Selbst eine schlichte Tischplatte würde deinen Arbeitsspeicher im Kopf platzen lassen, wenn wir alles gleichzeitig wahrnehmen würden. Wir würden Millionen von Farbpunkten und winzigen Poren sehen. Richte mal deinen Blick auf die nächste Holztischplatte, ein faszinierendes Universum! Wenn wir alle so sehen würden, wären wir auf Dauer lebensuntauglich.
Die Welt ist zu viel Information
Sehen lernen heißt filtern
Normalerweise filtern wir all diese Informationen unbewusst und so findet der Rorschach- Test heraus wer wir sind.
Beim Malen und Zeichnen lernen stehen wir nun vor der Herausforderung, dass wir unsere Filter öffnen und Millionen von Informationen auf uns einstürzen und dies führt zu einem enormen Chaos in unseren Bildern.
Wenn wir jetzt versuchen immer genau zu zeichnen, so ist dies in einer gewissen Art und Weise unnatürlich, denn wir selbst haben ja im Alltag immer die von unserem Gehirn gesetzten Filtern vor den Augen!
Immer genauer sehen lernen wollen, endet oft in kalter handwerklicher Perfektion, denn es gibt keinen persönlichen Blick mehr.
Sehen für die Kunst
Sehen lernen für die Kunst heißt auf deine Art und Weise filtern zu lernen.
Wir alle sehnen uns nach einem ganz persönlichen Stil beim Zeichnen und Kunst machen.
Natürlich ist es ganz wichtig zu lernen, was man genau in einem Bild braucht, damit man Dinge so darstellt wie man sie sieht.
Es hilft enorm sich beim Sehen lernen auf die einfachsten Grundformen zu konzentrieren und zu analysieren. Wer einfach sieht, sieht gut: im Sinne von ein Haus ohne Dachkante ist eine Kiste und diese Abstraktionen sind ein ganz wichtiger Prozess beim Sehen lernen für die Kunst!
Aber ich finde es sehr wichtig zu wissen:
Dein persönlicher Stil ist die Summe deiner eigenen Blindheit und deiner Exzentrik
Es gibt Kunstrichtungen, die können sich nicht riechen
Dies liegt daran, dass sie auf unterschiedliche Weise versuchen für die Kunst sehen zu lernen. So versuchen die Realisten den Filter des Sehens einzureißen bis sie alles sehen und der Konstruktivismus versuchen den Regler des Filters bis zum Maximum aufzudrehen, bis nur noch die Grundform bleibt.
Reduziert bis auf die Grundform. Wie in diesem Beispiel einer Postkarte aus dem Jahr 1915:
Werk: Sketch of a Portrait of Pavel von Liubov Popova Quelle: Wikipedia
Das finden die Realisten allerdings total empörend, solche Bilder haben damals Skandale ausgelöst. Das sich solch auseinanderliegende Kunstrichtungen Spinnefeind sind, ist deshalb kein Zufall.
Tine meint dazu:
Als wir geboren wurden, gab man uns Augen und ein Herz um zu sehen. Finde deine eigene Mischung. Denn das wundervolle an der Kunst ist dein ganz eigener Blick.
Alles liebe Tine
Neulich habe ich einen anderen Aspekt des Sehenlernens beleuchtet:
https://blog-herz-der-kunst.ch/abstrahieren-mit-genuss/
Wer sich noch mal die berühmten Tintenkleckse auf Wikipedia anschauen möchte:
https://de.wikipedia.org/wiki/Rorschachtest
Konstruktivismus eine Kunstrichtung mit streng geometrischen Sehen:
https://de.wikipedia.org/wiki/Konstruktivismus_(Kunst)