Mitten im Leben
Das Zeichnen vor dem Bildschirm lässt uns seelisch verarmen und man sieht leider oft wenig mit Leben gefüllte Bilder. Ein Foto kann niemals diese Fülle von Eindrücken vermitteln, die das wirkliche Leben bereitstellt. Zugegeben, fotografieren hat enorme Vorteile, denn das Motiv hält auf dem Foto still.
Geh raus und lass Dich mitreißen!
Der erste Schock der uns im echten Leben ereilt ist, dass kein Motiv still hält!
Ich kann mich an das erste Mal erinnern als ich wirklich draußen malte.
Ich habe mich gefühlt wie eine Katze, alles hat mich ablenkt, wenn ich einen Schwanz gehabt hätte dann hätte ich nervös mit ihm geschlagen.
Der beste Tipp sich von der plötzlichen Vielfalt nicht erschlagen lassen, das Einfachste ist sich auf ein Motiv zu stürzen und alles Andere zu ignorieren.
Gaffer: im Zentrum des Interesses
Wenn man sich gar nicht sicher ist, ob eine Zeichnung gut wird, dann sind Gaffer eine Last. Ich hatte am Anfang das Gefühl meine Zeichnungen sind ein Verkehrsunfall und alle glotzen weil meine Zeichnung so schrecklich ist.
Wer nicht zum Mittelpunkt des öffentlichen Interesses werden möchte sollte sich einer alten Katzentaktik bedienen: ein Plätzchen suchen an dem man selbst gut sieht aber nicht wahrgenommen wird.
Rechne mit Fehlschlägen!
Im Atelier male ich ein Ölbild so lange bis es perfekt ist. Im echten Leben erscheint ein Motiv und es rennt wieder weg! Vergiss geplante Perfektion, zugunsten der Lebensfreude.
Tipp: Sei gnädig mit Dir selbst. Ich zeichne so etwas immer hinten ins Skizzenbuch, damit man vorne meine nicht sofort über lauter üble Bilder stolpert. Der Zwang das alles Perfekt sein muss hat bei draußen Zeichen-Sessions nichts zu suchen. Paradoxer Weise sind deshalb alle meine mitreißenden Zeichnungen hinten im Skizzenbuch !
Apropos mitreißende Bilder
Mitreißende Bilder entstehen dadurch, dass man den Schwung der Situation mitnimmt.
Der beste Tipp: nicht nachdenken. Einfach Anfangen, entspannt und zügig Arbeiten, kritzel wie beim telefonieren. Nicht über Fehler ärgern, denn das stoppt Dich, und schon ist das Motiv weggelaufen
Perfektion erreicht man auf der Straße selten, dafür füllen sich die Bilder mit Leben und Seele.
Jetzt noch ein paar handfeste fachlicheTipps zum zeichnen von beweglichen Motiven:
➡ Strategie eins: male zuerst die Dinge vor denen du Angst hast, zum Beispiel bewegende Menschen, dann versaut es nicht den Rest des Bildes.
➡ Male gestisch: Gestisch malen ist als wenn du mich auf der Straße triffst und mir von der tollen Zirkungsvorführung letzte Woche erzählst. Du malst begeistert den Salto Mortale mit den Händen in der Luft. Wenn du das genauso auf dem Blatt malst wirst du alle begeistern, denn die Stimmung springt durch die Geste über (dazu folgt noch ein Artikel)
➡ Beschränke dich auf die Stimmung, so dass es auf die exakte Wiedergabe nicht ankommt. Wenn man ein Erlebnis darstellt, dann ist wichtig womit man auf Anhieb sieht was los war. Bei einer Band die Musik und nicht die Wand dahinter.
➡ Verschmelze die Zappelnden
Benutze mehrere Motive um darauf eines zu erstellen. Wenn zum Beispiel Menschen an dir vorbei strömen zu zeichnest du beim ersten Kopf und Schultern Schulter, beim zweiten den Rumpf und beim Dritten die Beine.
Am Strand schaut die Frau zuerst nach links, ich Male etwas Anderes schaut mein Motiv wieder nach links geht es weiter.
Steht jemand auf und geht weg, dann suche ich mir jemand anders in ähnlicher Pose.
Viel Spaß!
Welche Strategien kennt ihr? Helft mir diesen Blog so hilfreich wie möglich zumachen. Dafür brauche ich eurer Fachwissen.
Maike Josupeit schrieb: Klasse Film, sensationell, die Band und Deine Zeichnungen dazu! Ich finde die Umrisse am wichtigsten, wenn mir Personen auf der Straße begegnen, erkenne ich das Typische daran, und ich achte auf die Negativformen z.B. an den Beinen, wenn sich das Motiv bewegt. Kennst Du David Rankin, der hat auch tolle Tips zu bewegten Motiven.
Tine: Danke Maike werde ich mir sofort anschauen!
Mari SaKi schrieb: Ich finde auch, scribbeln geht da ganz gut und macht die Hand und Hirn locker. 😉 Und weg vom „richtig“ oder „wahrhaftig“ – unerschrocken zusammensetzen, was einem vor das Auge kommt. Und Menschen muss man auch nicht wiedererkennen können…
Das habe ich auch mal mit Landschaft gemacht während einer Zugfahrt – habe immer gezeichnet, was ich grad im Zugfenster gesehen habe, über eine längere Strecke, und war schlussendlich erstaunt, dass ein typisches Bild der Landschaft dabei herauskam, auch wenn es genau diesen Ausschnitt in Wirklichkeit nicht gab… 🙂
Tine: besonders wichtig finde ich den Hinweis das nicht so genau zeichnen muss, mann braucht die Identität ja nicht zu erkennen, Danke MariKommentar:
Joachim H. schrieb: Toller Blog. Hier noch die Ideen die ich kenne:
– Im Zug halten die Leute ruhig. (Ich bin Pendler)
– Ich übe Leute zeichnen im Cafe oder im Biergarten. Das sind dann reine Studien ohne das eine „richtige“ Zeichnung entstehet. Sitzende bewegen sich nicht so viel wie stehende.
– Schnell zeichnen üben.
– Erst malen, dann zeichnen. Die Grundform wird mit dem Pinsel angelegt, nur wo nötig werden noch Linien ergänzt. Das gibt lebendige Skizzen und geht schnell.
Tine: Danke Joachim, gestische malen mit dem Pinsel hilft mir auch sehr, dazu wird demnächst ein Artikel erscheinen.
Sven Brauer schrieb: Noch ein Tipp für die; zähle mich dazu, die Gaffer nicht vertragen- setzt Euch an eine Wand oder Mauer und stellt den Rucksack oder die Tasche direkt vor Euch. So schafft Ihr Distanz und ein Schranke vor Euch.
Tine: Das finde ich sehr hilfreich, am Anfang konnten massive Gaffer dafür sorgen, dass mir alles misslang. Danke Sven
Monika Hoffmann schrieb: Liebe Tine, ich freue mich jeden Freitag auf deinen Blog. Toll! Ich habe leider schon ganz oft Frust draußen gehabt und bin dann wieder Heim um zu Zeichnen. Das ist aber so schade. Deine Bilder von draußen sind so lebendig. Es motiviert mich gerade wieder raus zu gehen 😉
Ich nehme derzeit nach draußen nur mein „schlechtestes“ Skizzenbuch mit. Das macht es mir einfach wieder loszulegen. Sollte mir eine Seite gar nicht gefallen, übermale ich die Seite oder meistens nur Teile davon dann zuhause mit so was wie Gesso für Wasserfarbe und kann weiter darin zeichnen und malen. Oder ich klebe dann auch irgend etwas drüber, was mich an den Ort erinnert – Anfahrtswege, Visitenkarten, Prospektausschnitte. Oder es entsteht darauf eine Collage. Das Gefühl ein „undo – redo“ jederzeit später machen zu können gibt mir vor Ort viel mehr Freiheit beim Skizzieren.
Tine: lächelt herzlich… oh Gott teures Material macht mich auch immer total nervös redo-undo tolles Stichwort! Sehr hilfreich, Ich mache immer Kollagen aus Urlaubs- oder Alltagsandenken damit ich mir meine Unfähigkeit nicht jedesmal anschauen muss XD
Julia Saur schrieb; Der Vorteil, wenn wir Bewegung einfangen ist, dass es keine Gelegenheit für Überflüssiges drum herum gibt. Wir konzentrieren uns auf das, was im Moment spannend für uns war. Das darf auch eine Kombination aus mehreren Bewegungen sein. So typisch kann kein Foto den Moment einfangen.
Bina Placzek-Theisen schrieb: Bewegliche Motive 😀…………….ich habe damals mit meinen Kindern angefangen vor fast 30 Jahren. Meine beiden Jungs sind nur ein Jahr auseinander und mit einer kreativen Intelligenz ausgestattet. Deshalb war es mir nicht möglich, sie auch nur eine Sekunde aus den Augen zu lassen, ansonsten mußte ich das mit stunden manchmal tagelangem Wiederherstellen der natürlichen Ordnung büßen. Also nahm ich mir Block und Stift und zeichnete, zum Glück reichte wenigstens meine Anwesenheit aus, um die Verwirklichung ihrer besten Ideen zu verhindern. Aber da war echt Frust angesagt, man kann sich vielleicht vorstellen, wie quirlig die beiden waren. Aufgeben gildet nicht, sagte ich mir und biß mich durch. Ich wurde allmählich richtig schnell und schaffte es das Typische mit festzuhalten, aber fragt nicht wie hoch der Papierstapel war, den ich bis dahin verkritzelt habe. Als ich später mein Studium wiederaufnahm und mit Skizzenbüchern anfing, half mir diese Vorübung sehr. – wenn ich die Skizzen von meinen Jungs wiederfinde, zeige ich Euch ein paar davon – .
Toller Blog. Hier noch die Ideen die ich kenne:
– Im Zug halten die Leute ruhig. (Ich bin Pendler)
– Ich übe Leute zeichnen im Cafe oder im Biergarten. Das sind dann reine Studien ohne das eine „richtige“ Zeichnung entstehet. Sitzende bewegen sich nicht so viel wie stehende.
– Schnell zeichnen üben.
– Erst malen, dann zeichnen. Die Grundform wird mit dem Pinsel angelegt, nur wo nötig werden noch Linien ergänzt. Das gibt lebendige Skizzen und geht schnell.
Hallo Joachim, danke schön für das Lob und die Tipps. Ich finde es super, das du mitmachst, das Hilft enorm. Liebe Grüße Tine
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