Dass Fenstermalen eines der verrücktesten Dinge in der Malerei ist, glaubt man nicht auf Anhieb.
Denn oft sehen sehr gut gemalte und gezeichnete Fenster in Bildern sehr bescheuert aus.
Dieses Phänomen kennen sicher viele von uns. Und ehrlich gesagt, hat mich dies jahrelang ratlos gemacht.
Heute weiß ich, dass dieses Phänomen an der Wahrnehmung von Menschen liegt.
Dies liegt am Gestaltungsgesetz der begrenzten Formenzahl.
Das Gestaltungsgesetz der begrenzten Formenzahl besagt, dass ein Bild eine begrenzte Anzahl von Formen enthalten sollte, um eine klare, harmonische Wirkung zu erzielen.
Wer darüber nachdenkt, begreift also schnell: Zu viele Fenster auf kleinem Raum überlasten die Wahrnehmungsfähigkeit des Menschen und deshalb sehen auch korrekt gemalte und gezeichnete Fenster mitunter doof aus.
Die reine Einsicht führt hier allerdings nur zu Kopfgekratze, denn in der Stadt gibt es Hunderte von Fenstern.
Was also tun?
Die erste Methode zum Fenster malen ist das Weglassen.
Was wir durch das Gestaltungsgesetz der begrenzten Formenzahl lernen sollten, ist der vorsichtige Umgang mit Details, denn zu viele können den Gesamteindruck zerstören.
Auch wenn im Motiv in der Wirklichkeit so viele Details sind!
Aber ein Blatt in Din Format ist nun mal viel kleiner als die Realität und auf der kleinen Fläche wird unser Betrachter überfordert.
Deshalb ist das bewusste Zusammenfassen und Weglassen von Fenstern eine sehr gute Lösung.
In diesem Bild sieht man, dass Basel ganz wunderbar mit einer Handvoll Fenstern klar kommt.
Aber warum gerade diese vier Fenster?
Dinge werden durch ihre typische Gestalt definiert.
Ein Kirchturm hat immer das Glockenfenster. Und dies benutze ich, um die Erkennbarkeit der Silhouette zu stärken.
Als Faustregel könnte man formulieren:
Fenster müssen gemalt werden da, wo sie der Betrachter auch genau erinnern würde.
So könnte man Notre Dame kaum ohne das riesige kreisrunde Fenster in der Fassade malen.
Fenstermalen ist Zusammenfassen:
Es gibt lauter Tricks, die einem helfen, beim Fenstermalen zu viele Formen zu verwenden.
Ein gutes Beispiel sind Hochhäuser. Hier reichen oft ein paar Striche, um Fenster und Etagen anzudeuten.
Mein Tipp: Fenster nur dort bedeutungsvoll malen, wo sie auch von Belang sind.
Was ist denn von Belang? Fenster malen ist so eine Sache, denn es verändert sich damit, was du zeigen möchtest.
Deine Hauptperson steht im Fenster?
Wunderbar, dann male das Fenster genau wie einen Bilderrahmen, hier sind dann sogar Details sinnvoll.
Der Blick des Betrachters soll zu einem bestimmten Punkt schweifen? Du hast ein Bildzentrum? Dann benutze die Fenster wie einen Weg dorthin!
Benutze die Fenster wie die Brotkrumen von Hänsel und Gretel und führe den Blick des Betrachters damit. Benutze die Fenster wie eine Leitplanke, doch ganz genau müssen sie dafür nicht sein. Das siehst du hier, alle Fenster führen hinauf. Noch besser sieht man im nächsten Bild, wie man Fenstern eine Richtung geben kann.
Hier werden die Fenster zu einem Muster!
Fenstermalen verändert sich mit dem Bildinhalt, deshalb ist es so verwirrend. Es ist jedes Mal aufs Neue ein Abenteuer!
Deshalb ist es auch so schwierig, korrekte Anweisungen zu geben, wie genau man ein Fenster malen sollte.
Wer zu oft „muss“ sagt- hat oft keine Ahnung!
Ich weiß, du wünschst dir genaue Anleitungen, wie man etwas macht. Wir alle, auch ich, haben den Wunsch nach Sicherheit! Doch wer beim Fenstermalen sagt: Du musst! Der hat wahrscheinlich unrecht!
Doch mal ehrlich, wer gerne Kunst macht, hat Spaß an kreativen Lösungen. Auch wenn uns dies wie die Kuh aufs Glatteis führt.
Man darf das Ausrutschen lernen, um die perfekten Fenster zu finden.
Fenstermalen im Hauptmotiv:
Vor ein paar Jahren fiel mir das erste Mal auf, dass einige Maler etwas Merkwürdiges taten. Sie zerstörten ihre Fenster im Hauptmotiv. Im ersten Moment schaute ich wie eine Kuh auf dem Glatteis. Einige malten ihre Fenster perfekt, dann spritzten sie mit Wasser. Oder sie patschten mit den Fingerspitzen ins nasse Fenster und verrieben dann den Schmutz ungeniert in der Hauswand. Als ich auf den Prozess aufmerksam wurde, staunte ich nicht schlecht! Ich wurde auf die unglaublichsten Methoden zum Zerstören von Fenstern aufmerksam. Ganze Gebäude wurden nach dem Malen der Fenster geflutet, oder die perfekten Fenster wurden aus dem Bild gerubbelt! Ähnliches sah ich auch bei sehr guten Zeichnern.
Doch eines hatten all diese Fenster gemeinsam:
Sie sahen in ihrer zermatschten Form besser aus als meine.
Das war frustig. Doch nur ein Vollpfosten lernt nicht, wenn es doch so deutlich vor den Augen steht!
Ich begann meine Fenster zu zerstören und sie begannen gut auszusehen. Warum zum Teufel?
Seht ihr den Unterschied? Im Bildzentrum sind die Fenster scharf und schwarz. Und oben sudelig (Schweizerdeutsch für Unsauberkeit) mit dem Motiv verbunden.
Fassungslosigkeit beim Fenster-malen
Ein Blick in die Vergangenheit:
Eine Frau steht auf Usedom in meinem Workshop. Sie brüllt mich an.
„Ich male Gott verdammt besser als Sie! Und ihre Scheiße sieht dann auch noch besser aus!“
Meine Workshops sind immer liebevoll und mit Lachen gefüllt und ich starre die Frau fassungslos an, die ihre Hände krampfhaft zu Fäusten ballt. Sie atmet ruckartig! Ich denke:
Was mache ich, wenn die mir jetzt hier hyperventiliert?
Die Frau war Mallehrerin, und sie wurde wütend, weil sie das Gefühl hatte, ich würde sie mit meiner unsauberen Arbeit verarschen. Doch ich war hilflos, denn sie war so wütend, dass ich ihr nicht erklären konnte, dass die Unsauberkeit einen fachlichen Hintergrund hat.
Durch das charmante Verdrecken des Hauses und der Fenster werden die Formen aufgelöst. Die Fenster verbinden sich mit dem Haus, ihre Form geht in die Fassade über. Hinzu kommt, dass die Flecken dafür sorgen, dass alles einen gemeinschaftlichen Shabby-Schick-Anstrich bekommt. Das Auge begreift: Haus und Fenster, die sind eine Einheit!
Das fleckige und chaotische Bild wirkt nun auf den Betrachter ruhiger und harmonischer als das ordentliche Bild!
Oh, Wunder der Wahrnehmungspsychologie! Das Traurige oder Lustige daran war, dass die Frau es für einen Witz gehalten hat! Dabei ist es fundierte Wissenschaft!
Das Gesetz der Ähnlichkeit ist ein grundlegendes Gestaltungsgesetz, das besagt, dass Elemente, die ähnlich sind als zusammengehörig wahrgenommen werden. Dieses Gesetz wurde von dem Psychologen Gustav Theodor Fechner im 19. Jahrhundert entwickelt und wird seitdem in verschiedenen Bereichen der Gestaltung, einschließlich der Malerei, angewendet.
Wichtig daran ist, dass du Möglichkeiten findest, Dinge durch Ähnlichkeiten zu verbinden.
Egal ob Kleckse, Striche, Farben oder Texturen. In meinen Zeichnungen verbinde ich vieles über Schraffur. Ob ordentlich oder wirr, Dinge in Bildern müssen verbunden werden, dann entsteht Harmonie für das Auge! Falls du dich fragst, warum es dir schwerfällt:
Der Prozess ist unglaublich anstrengend für ordentliche Menschen.
Trotz dessen trifft es die Realität besser, denn kein Fenster sieht aus wie das andere. Mal gibt es Schatten, ein anderes Mal Reflexionen. Das eine Fenster hat Licht von außen, ein anderes Fenster, Licht von innen. Manche Fenster haben Gardinen, das ganze macht ein Bild ruhelos. Deshalb ist es so wichtig, die einzelnen Bildelemente durch kleine Flecken oder Farbelemente zu verbinden.
Viel Spass mit der Chaostheorie der Gemeinsamkeit, du wirst deine Lösungen finden.
Liebe Grüße
Tine
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