Malen ist Sehen und Seele.
Malen lernen ist sehen lernen:
Ein normaler Mensch lernt, alles zu übersehen, was er nicht für eine Aufgabe braucht.
Beim Malen lernen, lernen wir wieder alles zu sehen, das ist brutal. Wenn wir Malen lernen, dann stehen zuerst sehr technische Aspekte im Vordergrund. Wir versuchen unsere Hand darauf zu trimmen, das, was wir sehen, haargenau wiederzugeben.
Sehen lernen und das zu einer Form machen ist das Thema.
Dieses Training ist erfreulich und auch richtig so, denn ein Maler muss zeit seines Lebens eine gute Form machen können.
Eine gute Form ist das, was ein Betrachter aussagekräftig findet.
Wenn wir dann etwas länger Malen, stellen wir fest, dass absolute Genauigkeit gar nicht vonnöten ist. Natürlich muss die Form erkennbar bleiben, manchmal aber auch nicht. Laisser-faire heißt so viel wie locker oder laufen lassen.
Der Laisser-faire-Effekt ist ein weitverbreitetes Phänomen bei Menschen, die schon lange malen.
Die Lockerheit stellt sich beim Malen und Zeichnen nach viel Übung automatisch ein. Die Person hat begriffen, dass es nicht auf jede Kleinigkeit ankommt.
Normalerweise passiert genau im selben Zeitpunkt auch etwas anderes, Die Malerin oder der Maler klebt nicht mehr sklavisch am Motiv. Motive sind nicht mehr ganz real.
Was ist los? Verlernen erfahrene Maler das genaue Sehen?
Das dritte Sehen – mit dem Herzen sehen!
Ich möchte euch hier nicht mit Küchen-Psychologie kommen. Dennoch müssen wir mal über die Beziehung von Sehen und Seele sprechen.
Augen zwar ein Präzisionswerkzeug aber sie sehen nicht unabhängig, sie sind mit dem Gehirn gekoppelt. Das heißt sie sehen je nach Aufgabe etwas anderes, weil das Gehirn mitspielt.
Ein Beispiel ich bin mit dem Auto oder dem Fahrrad schon 1000 mal durch eine Straße gefahren. Kaum halte ich einen Stift in der Hand sehe ich dort ein Haus, was ich vorher noch nie wahrgenommen habe. Ein Motiv! Plötzlich sehe ich anders.
Vielleicht ist es dir auch schon so ergangen?
Die Wechselbeziehungen zwischen Gehirn und Augen sind vielfältig, ein Maler lernt über die Jahre nicht nur tolle Striche zu machen, gleichzeitig merkt er, dass seine erfolgreichen Bilder immer etwas mit der Seele zu tun haben. Als Maler oder Zeichner hört man also mit dem Sehen lernen nicht auf.
Irgendwann erlaub man den Augen nur das zu sehen was das Herz zum Glühen bringt.
Zuerst geht es um das sehr genaue Sehen lernen, dann scheint sich aber die Aufgabenstellung bei Malern im Kopf zu verändern und plötzlich sehen sie was anderes.
Jetzt ist die Aufgabenstellung nicht mehr: Zeichne das Haus haargenau! Sondern die Aufgabenstellung ist, zeig was dich daran anspricht!
Sehen lernen, das Sehen verändert sich kontinuierlich!
Kennst du das Kinderspiel:
Ich sehe was, was du nicht siehst?
So ist es im Alltag immer! Glaube bloß nicht, dass die anderen genau das gleiche sehen wie du. Denn das was wir sehen wird schwer von unserer Seele, unserem Beruf und sogar von unserer Kindheit beeinflusst.
Wenn ich die Bilder meiner Schüler sehe, dann weiß ich oft welchen Beruf sie hatten.
Dinge, die dich interessieren nimmst du wahr, andere Dinge, die dir nicht in den Kram passen wirst du, ohne es zu merken, gnadenlos wegignorieren.
Schlimmer noch, wurde dir eine Weltsicht eingeprügelt, kannst du lange Jahre die Welt nur noch bruchstückhaft sehen.
Alle Leute glauben immer, dass ihre Augen unbestechlich sind.
Dies ist ein großes Dilemma in unserer Gesellschaft! Jeder glaubt, dass das was er sieht, wahr ist, und dass die anderen deshalb auf dem Holzweg sind.
Viele Maler haben diese fatale Eigenschaft der Augen begriffen. Sie lassen die Augen einfach schweifen und malen dann das was ihnen aufgefallen ist.
Obwohl der Maler dies so gesehen hat, weichen seine Bilder brutal von der Realität ab.
Man kann ein Sujet immer wieder malen und es ist immer anders.
Ist dies nicht so, dann sehen vermutlich nur die Augen.
Viele Schüler versuchen immer so sehen zu sehen wie der Maler, dabei ist dies unmöglich du musst sehen wie du selbst.
Die gewaltigen Unterschiede im Bildentwurf entstehen dadurch, dass der Maler sich erlaubt die Augen über die Dinge schweifen zu lassen, die er klasse findet.
Viele Menschen glauben, dass der Maler dann einen Bildentwurf zusammenlügt, weil das einfach besser aussieht.
Möglicherweise ist dies aber ganz anders, dieser Bildentwurf entsteht, weil der Maler malt, was er an dem Tag tatsächlich gern gesehen hat.
Das Bild was du heute siehst ist vor meiner Haustür. Jedes Mal, wenn ich die Kirche male, sehe ich sie anders an. An diesem Tag habe ich mir die Erker des Münsters bewundert. Die Böschung unterhalb des Münsters habe ich überhaupt nicht betrachtet, deshalb fehlt dort ein ganzes Stück. Als sich dieses Bild gemalt habe, hat mein Unterbewusstsein mit gemalt. Ich habe mir die Erker betrachtet und obwohl sie im Bild nicht auftauchen sollten, sind sie einfach irgendwie erschienen nun so groß wie Häuser.
Wenn mein Bild von Münster jedes Mal anders aussieht, dann ist das nicht, weil ich dich belüge, sondern weil mein Herz dir erzählt, wie schön die Erker sind.
Sehen ist subjektiv:
Sehen lernen ist sehr subjektiv, möglicherweise malst du plötzlich viel bessere Bilder, wenn du dir erlaubst das zu malen was du wirklich siehst. Schreite nicht ein, wenn deine Hände plötzlich etwas anderes malen als die Realität.
Wie viele Maler und Zeichner haben schon gerufen: Mein Gott da habe ich doch ein ganzes Haus vergessen!
Vielleicht ist das gut so, als Stadtplanerin habe ich an einer Studie teilgenommen, wo wir festgestellt haben, das ganze Stadtteile kollektiv bestimmte Häuser nicht sehen. Wenn man sich fragt welche Häuser da stehen, dann erinnern die Leute an diese Häuser einfach nicht.
Meine Frage ist also, muss man unsichtbare Häuser malen?
Was ist meine Aufgabe beim Malen und Zeichnen? Wir sehen bestimmte Dinge nicht, weil sie nicht in unser Wahrnehmungsschema passen. Wenn man ganz ehrliche und intuitive Bilder macht, dann gibt es eben diese unsichtbaren Häuser. Andererseits werden auch Dinge in Bildern auftauchen, die dir wichtig sind, anders als in der Realität.
Dann spricht die Seele.
Vielleicht bist du manchmal mit deinen Bildern unzufrieden, weil du gemalt hast, was du musstes und nicht das was deiner Seele wirklich sieht.
Liebe Grüße von Tine und dem kleinen Prinzen.
Denk mal drüber nach.
Ich danke euch herzlich:
Weiterlesen zum Thema bei Tine:
https://blog.herz-der-kunst.ch/blick-realitaet-und-bildentwurf/
Mal wieder …und wie immer…ein toller Beitrag!
Besten Dank!
Liebe Grüße aus dem Norden
Hilla
Vielen lieben Dank! Grüße aus Basel!