Warum malen eigentlich alle Kinder und viele Erwachsene nicht mehr?
Oder anders formuliert, warum malen eigentlich so viele Erwachsene, obwohl Malen so nutzlos ist?
Ja, malen wird als nutzlos betrachtet. Mein eigener Vater brachte es ziemlich grob auf den Punkt:
Ein Beruf muss keinen Spaß machen, ein Beruf muss ernähren!
Und so geht es uns Künstlern, denn wir werden bewundert oder verachtet. je nachdem wie wichtig das Geld ist.
Ich selbst habe dem Beruf gewechselt, ich verdiene heute nicht mehr so viel, wie als Ingenieur.
Doch ich finde Lebensglück ist unbezahlbar
In meinem Leben bin ich schon in so manches Land gekommen, Kinder sehe ich dort überall malen. Egal wo man hinkommt auf der Welt, so hängt immer stolz ein Kunstwerk der lieben Kleinen am Kühlschrank.
Fast jedes Kind malt kräftig und selbstbewusst in kühnen und freundlichen Farben.
Jetzt frage ich mich doch als denkender Mensch, was verändert sich da eigentlich, wie so können nicht alle Menschen diesen Schwung und Elan mit ins Erwachsenenalter nehmen?
Malen ist eine Weltsprache
Malen ist nicht beschränkt. Es gibt Maler jeder Altersklasse, es gibt Maler jeder Hautfarbe, ich kenne kein Land in dem nicht gemalt wird und ich kenne auch keine Epoche in der nicht gemalt wurde. Dies beweist jeder Besuch in einem Museum für Frühgeschichte, egal was da liegt, ein wenig Kunst ist dabei. Eine kleine Verzierung, ein kunstvolles Muster in einem Pfeil, nichts geht ohne Kunst. Dinge die uns wichtig sind, müssen wir einfach zum Ausdruck bringen.
Die Venus von Willendorf 30.000 Jahre alt
Urheber des Fotos: User:MatthiasKabel [CC BY-SA 3.0 (http://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0/)]
(Facebook würde dich bei den Brüsten direkt rauswerfen, aber es ist doch beruhigend das Herr Feuerstein genauso tickte wie mein Liebster)
Halten wir mal fest: Malen und Kunst machen ist ein Grundbedürfnis.
Jeder malt oder moduliert eben das, was ihm im Kopf herumschwirrt.
Die Bilder von Kindern sind meistens freundlich und fantasievoll. Die wirklich bedeutenden Zeichnungen von Erwachsenen sprechen über Gefühle, die wir sonst nie ausdrücken. Hemmungslos, überschäumend und beobachtend.
Aber nicht jeder scheint diese Fähigkeit zu behalten.
Kunst ist eine Sprache
Aber noch mal zurück zur Frage. Die Frage war doch, warum malen wir? Oder warum malen wir nicht mehr?
Im Gegensatz zu Kindern haben Erwachsene oft Hemmungen einfach loszulegen. Ja, man kann das regelrecht Blockade nennen. Und jetzt frage ich mich doch, warum blockieren wir uns in zunehmendem Alter.
Ich glaube es liegt an zwei Dingen:
Wissen und Ansprüche
In zunehmendem Alter entwickeln wir ein Wissen über die Welt, wir glauben dass wir wissen wie die Welt tickt. Und dieses Wissen macht uns nicht weitsichtig, sondern es raubt uns die Möglichkeit zu beobachten. Wissen kann bei Menschen sehr zweischneidig sein.
Der eine Mensch lernt durch sein Wissen, dass es immer mehr zu wissen und zu beobachten gibt. Dummerweise wird Wissen aber ganz oft als Regel vermittelt. Zu harte Regeln öffnen aber nicht, sondern sie schließen.
Ich vermute irgendwann kommt der Punkt an dem das Wissen so stark überhand nimmt, dass man nicht mehr beobachten kann. Jeder von uns hat so Glaubenssätze im Kopf, die uns ein gehämmert wurden und die uns dann jeder Spontanität nehmen.
Und dann sind da ja auch noch die Ansprüche, es muss großartig sein, fehlerlos und brillant und natürlich muss es hohe Preise bringen.
Denn nichts was nicht ernährt ist etwas wert.
Meine Schüler erzählen mir immer wieder unglaubliche Geschichten, Was Ihnen alles den Spaß am Malen verdorben hat. Jeder Laie scheint ganz genau zu wissen, was Kunst darf und was Kunst nicht darf:
- Es muss immer ausschauen wie ein großer Meister den schon gibt, am besten ist der große Meister schon tot und ganz teuer.
- Hässliches darf auf keinen Fall ins Bild, Sex geht auch nicht
- die Realität ist doch anders
- Kreativität ist etwas für Frauen und Kinder
- Du bist Untalentiert
- brotlose Kunst
- usw. und so fort
Die Folge ist jetzt das viele Erwachsene vor einem Blatt sitzen und total vernagelt sind.
Zucht und Ordnung
Wenn ich meine Schüler frage: Warum sie eigentlich malen oder nun endlich wieder mal, dann kommen die unglaublichen Geschichten zutage.
Schöne Geschichten und enorme Traurigkeit
Ich frage mich oft was ist eigentlich in den Familien los? Kindern wird oft mit einer enormen Brutalität die Kreativität ausgetrieben. Wenn jetzt meine Malschüler anfangen zu erzählen, dann weiß ich manchmal nicht, ob ich lachen oder weinen soll.
Eine Schülerin von mir ist Sportlehrerin, ehemals war sie die Kleinste in der Familie. Sie hat aufgehört zu malen wegen solcher Sätze:
Hör sofort auf, das sieht scheußlich aus!
Jetzt denkt man natürlich, dumm gelaufen, aber das ist natürlich eine Ausnahme. Ganz und gar nicht, etwas Erfahrung ist eher die Regel. Ich höre die abstruseren Dinge, von Vätern die ihren Kindern verbieten Farbstifte zu benutzen. Von Jungs die streng ermahnt werden, dass malen nur etwas für Mädchen und Frauen ist. Aber das Häufigste ist, dass vielen jungen Menschen künstlerische Berufe verboten werden.
Ich hoffe immer das so einen Mist schon lange vergangen ist. Doch erschreckender Weise liegen diese Geschichten oft nur 20 oder 30 Jahre in der Vergangenheit.
Dabei gibt es einen ganzen Haufen von Gründen, warum wir auch entzückt und frei im Erwachsenenalter malen sollten:
1. Malen entspannt
Wenn ich mal frage warum meine Schüler malen, dann ist es das häufigste Argument, dass man dabei super den Kopf abschalten kann. Wann man einfach Ruhe und Zeit für sich selbst hat.
2. Malen öffnet die Augen
Ein großes Argument, ist für viele Menschen die unglaubliche Klarheit des Sehens. Gerade Menschen aus vielen hochwertigen Berufen werden von Malen angezogen, weil sie es sehr schätzen die verkrusteten Glaubenssätze und Befehle abzuschütteln. Frei und klar sehen ist nicht nur in den meisten Berufen sehr hilfreich, es hilft auch enorm bei der Persönlichkeitsentwicklung. Das klare Sehen ermöglicht uns die Möglichkeit zur Revolution. Vielleicht ist genau dies der Punkt, warum so viele Menschen Künstler verachten oder bewundern.
3. Malen macht leistungsfähiger
Wer klarer sieht, einen freien Geist hat und eine bessere Feinmotorik ist oft auch deutlich leistungsfähiger. Gerade Leistungsträger schätzen diese Fähigkeiten. Vor allem wird die Konzentrationsfähigkeit durch Malen gestärkt. Wer ein gutes Bild malen möchte, muss einen Fokus finden. Die Fähigkeit ein Thema interessant und klar und deutlich herauszuarbeiten ist fast in jedem Beruf hilfreich. Aber reden wir nicht nur für den Menschen die im Beruf stecken. Sehr viele ältere Menschen betreiben das Malen, weil es Menschen im Kopf sehr lange leistungsfähig und fit hält. Ich selbst habe einen Großteil meiner Fähigkeiten von einer 94-jährigen Malerin gelernt. Dies lässt sich auch per Schichten-Tomografie im Gehirn nachweisen, die Gehirne von Malern altern langsamer und heilen schneller.
4. Bewunderung
Wenn man einmal den Mut gefunden hat und nur ein wenig besser wird, dann wird man merken wie die Stimmung der anderen plötzlich umschlägt. Plötzlich ist man nicht mehr der verachtete Habenichts, sondern der geniale Künstler. Es lohnt sich also den eigenen Kopf durchzusetzen. Plötzlich wird man bewundert. Sein wir mal ganz ehrlich, in einer Gesellschaft wo wenig gelobt wird, tut das doch so richtig gut! Oder?
5. Lebensfreude
Wer all die Verbote und Gebote mal mit den Besen vor die Haustür kehrt und seine Augen auf Schönes richtet, der wird feststellen wie schnell sich die Heiterkeit ins Leben schleicht. Verbote und Gebote lassen viele Menschen ganz schön krumm laufen. Wie oft höre ich in der Sprache:
Ich muss! Ich muss! Ich muss!
In der Kunst musst du gar nichts, außer zu machen auf was du Lust hast und das macht Lebensfreude. Alles ist erlaubt, ein Satz den ich mir selbst hinter die Ohren schreiben musste.
6. Die Macht des Erschaffens
,,Es gibt den Maler, der aus der Sonne einen gelben Fleck macht, aber es gibt auch den, der mit Überlegung und Handwerk aus dem gelben Fleck eine Sonne macht’’ (Pablo Picasso).
Habt ihr euch schon mal überlegt? Wie mächtig das erschaffen ist? Was man erschaffen will ist sehr unterschiedlich. Mir reicht oft ein Lächeln oder eine Erinnerung.
Tatsächlich eröffnet die Kunst einen Raum, in dem wir völlig frei und hemmungslos sehen erschaffen und denken dürfen!
Na, wenn das mal nicht mächtig ist!
Wundervolle Grüße in ein hoffentlich schönes Frühlingswochenende.
Das Bild was ihr heute sieht heißt: Frisch geborenes Grün. Eigentlich habe ich es gemalt, um die Blätter zu feiern, die hier gerade mal einen Tag alt waren. Doch dann traf ich diesen genialen Kunstpädagogen.
Making of
Die Geschichte dahinter,
Letzte Woche habe ich einen unglaublich schönen Mal-Kurs am Chiemsee gegeben.
Meine Gruppe war einfach großartig. Wir saßen auf der Fraueninsel hinter einem der ältesten Gebäude Deutschlands, ließen uns die Sonne aufs Haupt scheinen und plötzlich kam eine Familie. Der Sohn war so richtig begeistert und sagte im vorbeigehen: Oh toll, ich glaube ich möchte auch mal Maler werden. Vater brüllt im nasalstem bayrisch: Naaaahh! Alles Habenichtse! Kunst ist nichts Gescheits!
Dazu kann ich nur sagen, hier liegt ein klassischer Fall von Betriebsblindheit. Denn die Habenichtse, die dort auf dem Boden hockten, hatten schätzungsweise jeder Einzelne ein Einkommen was dreimal so hoch war wie das des Vaters. Hätte der Mann die Augen aufgeklappt so hätte er gesehen, das dort zehn Stützen der Gesellschaft auf dem Fußboden zufrieden im Staub sitzen.
Zwei Theologen, ein Zahnärztin, eine Rechtsanwältin, eine Kunsttherapeutin, eine Sportlehrerin, eine Orchestermusikerin, eine Apothekerin, eine Logopädin, eine Städtebauerin und eine Tiefbauerin, die klassische Ansammlung der Habenichtse.
Ich möchte dem jungen Mann dringend traten Den Rat seines Vaters in den Wind zu schlagen . Auch wenn dieser vor dem 13 jährigen aufbaut als sei er Napoleon persönlich.
Malen lohnt sich immer. Ob jetzt nun als Profi oder nur als Ausgleich. Interesse und Malen ist Interesse macht dich lebenslang schlauer und glücklicher.
Das kann man sogar auf Gehirnsscans nachweisen. Diesen Artikel habe ich bei einer Rescherche in einer wissenschaftlichen Fachzeitschrift gefunden:
https://journals.plos.org/plosone/article?id=10.1371/journal.pone.0101035
Wenn ich das mal zusammen fassen darf in verständlicher Sprache:
Kunst machen beschert dir eine deutlich verbesserte Hirnfunktion….rate das mal dem Vater, er braucht es dringend……
Noch ein Artikel zu warum wir malen:
Na, so unrecht hat der Vater in deiner Geschichte vom Chiemsee ja auch wieder nicht. Die Grundlage, um sich gutes Malmaterial und gute Kursleiter/ Mallehrer in wunderschöner Umgebung leisten zu können, ist ein Beruf, der einem mehr als das absolut Lebensnotwendige einbringt.
Sonst bleibt nur Block und Bleistift am Küchentisch oder auf der Parkbank – geht natürlich auch !
Ja, stimmt schon. Liegt aber auch daran, das unsere Gesellschaft Künstler ungerne bezahlt. Es ist Tradition das Kunst nur in reichen Haushalten gemacht wird.Für viele Kreative bedeutet dies Unglück. Dennoch genau umgekehrt sind viele Menschen ebenso Unglücklich weil sie mit ihrer Kreativität in Berufen gefangen sind, die keinen Spielraum für Kreativität lassen.
Liebe Grüße
Tine
Ich wollte mit meinem Kommentar sagen: Ohne ihre gut bezahlten und angesehenen Berufe wären deine Malschüler alle Habenichtse! Denn es ist wohl nahezu unmöglich, mit Skizzen vom Chiemsee, seinen Lebensunterhalt zu bestreiten. Leider!
Du schreibst: Dies lässt sich auch per Schichten-Tomografie im Gehirn nachweisen, die Gehirne von Malern altern langsamer und heilen schneller.
Kannst du mir vielleicht hier eine Studie oder einen Artikel darüber schicken???
DAs interessiert mich sehr!
Liebe GRüße
Dodo
Konkret war die Aussage des Artikels wenn ich mich recht erinnere das die Gehirne nachweislich mehr Zellen bilden als bei Alltagsaktivitäten.In mehreren Hirnarealen war eine Verbesserung nachzuweisen. Normalerweise hänge ich die Artikel immer an den Blog an es sei denn es wäre ein alter deren Inhalt ich noch im Kopf habe. Falls am Blog nichts häng google: Kunst und Gehirn, Malen und Gehirn, oder Kunst Gehirnforschung, unter den Begriffen suche ich selbst regelmäßig.