Was Taugen Asiatische Kalligrafiepinsel im Aquarell?

Nimm dir einen Moment und stell dir vor, du hebst einen Pinsel an. Sein Griff ist aus einer Bambusstange. Warm liegt er in der Hand. Schon das erste Gefühl verrät: Dieses Werkzeug lebt anders, reagiert anders und verhält sich anders als die Pinsel, die du seit deiner Kindheit gewohnt bist.

Du stutzt, das gewohnte Malgefühl ist weg!

Jetzt kommt es auf deine Neugier an!

Bist du bereit, dich auf eine ganz andere Handwerkstradition einzulassen

– zu finden, was dir dieser Pinsel Neues bringen könnte?

Asiatische Kalligraphiepinsel haben andere Haare!

Asiatische Naturhaarpinsel bestehen am häufigsten aus Ziegenhaar. Aber man findet auch oft Wolf-, Wiesel- oder Pferdehaar.

Kolinsky oder moderne Synthetikmischungen verhalten sich ganz anders!

Bei asiatischen Kalligrahiepinseln formt sich die Pinselspitz nicht automatisch spitz. Das Haar gibt schneller nach, federt aber nicht so zurück in die Form, wie wir es gewohnt sind. Im ersten Moment ist man überrascht.

Man hat das Gefühl, die Pinselspitze tut absolut nicht das, was sie tun soll!

Wenn du schon hier aufgibst, wirst du niemals erfahren, was diese Art von Pinsel für dich tun kann!

Asiatische Kalligraphiepinsel – dahinter steckt eine andere Philosophie!

Sie sind nicht gebaut, um exakt zu sein! Sie wurden gebaut für Ausdrucksstärke!

Für viele Aquarellisten ist das ein Geschenk, dass es Pinsel gibt, die sich beim Malen völlig anders verhalten! Der Pinselkopf eines asiatischen Kalligraphiepinsels kann diverse Formen annehmen, und dies bringt eine wunderbare Leichtigkeit ins Arbeiten:

Linien werden lebendiger, wilder und Waschgänge fließender, große Farbflächen entstehen fast wie von selbst.

Im ersten Moment fühlt sich das an wie Unkontrollierbarkeit, denn Europäer sind eine konstante Pinselspitze gewohnt.

Asiatische Kalligraphie und ihre Bauweise.

Ein wesentlicher Grund für die Beliebtheit des asiatischen Kalligraphiepinsels liegt in der Bauweise. Asiatische Pinsel besitzen meist einen üppigen Bauch, der beeindruckende Mengen Wasser speichern kann.

Manchmal sind sie länger, als wir das von einem europäischen Pinsel gewohnt sind.

In der Praxis bedeutet das: Du ziehst lange, harmonische Verläufe, ohne ständig neu in die Farbe tauchen zu müssen. Ist der Pinsel mit Wasser vollgeladen, zerfallen viele dieser Pinsel zu Flachpinseln.

Die Form der Spitze unterscheidet sich oft deutlich von europäischen Pinseln. Während wir runde, feine Spitzen mit präziser Rückstellkraft gewohnt sind,

haben viele asiatische Pinsel eine keilförmige oder flach anmutende Spitze, wenn sie feucht sind.

Dies erinnert an die breiten Kalligrafiefedern in europäischen Füllhaltern.

Man merkt also: Die Bauform kommt aus der Kalligraphie und macht den Pinsel erstaunlich vielseitig. Mit derselben Spitze kannst du breite, weiche Flächen anlegen und im nächsten Moment zur scharfen Kante wechseln, um feine Linien oder rhythmische Akzente zu setzen.

Vielseitigkeit – Man muss den Pinsel nur wenden!

Gerade dieser Wechsel zwischen Fläche und Linie begeistert viele Künstler.

Asiatische Kalligraphiepinsel – ein Werkzeug, das man erforschen darf!

Natürlich hat auch dieses Werkzeug seine Eigenheiten. Die Weichheit des Haares ohne Punktspitze bedeutet zuerst ein Gefühl von Unsicherheit.

Das Ziegenhaar ist zwar weich und trotzdem irgendwie zäh!

Man kann es in eine Spitze formen. Das Haar bleibt irgendwie stehen, schnellt aber nicht automatisch in eine feine Spitze zurück.  Wer eine klare, exakt formbare Spitze sucht, wird sich zunächst umstellen müssen.

Ist der Pinsel voll Wasser, lasiert er wunderbar.

Wird er jedoch trockener, bricht die Spitze, macht gebrochene, ausdrucksstarke Striche. Schau dir mal die gebrauchten Pinsel an, ich habe sie in der Form, so wie sie waren, trocknen lassen.

Tine Klein Tutorial asiatische Kaligraphiepinsel

Mitunter verharrt der Pinsel stur in der Form, die du beim Malen erzeugt hast. Ein bisschen eigenwillig XD! Vom Strubbelkopf bis zur Doppelspitze, alles dabei.

Doch für viele Malerinnen und Maler liegt genau darin ein Gewinn: Die Pinsel fördern eine großzügige, gestische Handschrift und ermutigen dazu, die Kontrolle punktuell loszulassen.

Natur ist chaotisch – da ist ein wilder Pinsel ein Gewinn!

Apropos loslassen! Es gibt noch einen anderen Grund, warum der asiatische Pinsel so populär ist: Arbeitet man mit ihm trockener, benutzt ihn sogar gegen den Strich, dann beginnt er sich zu spreizen. Der Strich wird rauer, trockener, bricht in kleine Fragmente. Künstler „misshandeln“ den Pinsel regelrecht, bis die Haare strubbelig stehen – und genau dann zeigt er eine ganz eigene Schönheit.

Das ist perfekt für Vegetation!

Siehst du die hüpfende Kante am Baum?

Diese Art zu malen erzeugt äußerst natürliche, gebrochene Strukturen, die besonders für Vegetation, Steine oder Wolken faszinierend sind. Es entstehen weiche, wilde Kanten, die locker wirken, fast so, als hätte ein Windhauch die Farbe geformt. Für viele ist das einer der größten Reize dieser Pinsel: Sie erlauben Textur, ohne dass man sich dafür anstrengen muss.

Warum sind sie also so populär? Sie verbinden technische Möglichkeiten mit künstlerischer Freiheit.

Ist der Pinsel feucht, erlaubt er weiche Verläufe, breite atmosphärische Flächen. Benutzt man ihn feucht, entstehen dynamische Linien. Benutzt man ihn trocken und auf der Seite, entstehen trockene Striche und eine beeindruckende Ausdrucksstärke – alles mit einem einzigen Werkzeug!

Trockener Strich

Mal was Anderes!

Viele Aquarellisten empfinden das als inspirierenden Gegenpol zu unseren westlichen Pinseln, die eher auf Präzision und Formtreue ausgelegt sind.

Der asiatische Kalligraphiepinsel wäre aus dem Blick eines europäischen Pinselbauers einfach grauenhaft.

Für den Künstler ist er aber trotzdem ein Gewinn, weil er sich wie ein Chamäleon verhält.

Wie erhält man Steuerbarkeit des asiatischen Kalligraphiepinsels?

Die Steuerung des Pinsels erfolgt noch viel stärker als beim europäischen Pinsel durch die Menge an Wasser, die man in den Pinsel getankt hat. Ist viel Wasser im Pinsel, ist es ein weicher Flachpinsel, dessen Kante auch feine Linien machen kann.

Ist weniger Wasser im Pinselbauch, wird der Pinsel ausdrucksstärker, er wird unwilliger, seine Form zu ändern. Sein Strich wird wild und kratzig.

Kauf und Preis eines asiatischen Kalligraphiepinsels

In Europa bezahlt man für gute asiatische Naturhaarpinsel meist zwischen 7 und 40 Euro oder Franken, abhängig von Größe, Material und Hersteller. Oft sind die Pinsel atemberaubend schön verpackt. Vorsicht! Ein schöner Kasten sagt nichts über den Pinsel!

Viele dieser Pinsel stammen aus kleinen Werkstätten, oft Familienbetrieben, in denen traditionell gearbeitet wird. Das hat seinen Charme, bringt aber auch eine Eigenheit mit sich: Häufig lässt sich nicht zuverlässig nachvollziehen, welche Haare tatsächlich verarbeitet wurden. Manche Pinsel sind qualitativ eher einfach gebaut, die Haarmischungen nicht ganz klar definiert. Doch erstaunlicherweise schmälert das die besonderen Maleigenschaften kaum. Selbst ein Pinsel von eher schlichter Qualität kann unglaublich interessante Strukturen erzeugen, einen lebendigen Strich fördern und genau diese charaktervolle Wildheit besitzen, die wir an asiatischen Pinseln so schätzen.

Doch ihr nerviger Nachteil ist dann, dass sie Haare verlieren wie ein ungebürsteter Hund!

Für mich ist dieser Pinsel unverzichtbar! Er ist einer meiner Reisepinsel. Ich schätze an ihm, dass er mir hilft, Aquarellskizzen schnell und ausdrucksstark auf das Papier zu bringen. Das heutige Bild wurde damit gemalt.

Wie immer gilt: Probiere es einfach aus.

Liebe Grüße
Tine

Museen bekommen Fördergelder – ich nicht. Meine Arbeit lebt allein von Menschen wie dir. Tausende genießen die Inhalte, aber nur wenige tragen sie wirklich mit.

Wenn du willst, dass diese Kultur weiterlebt, liegt es in deiner Hand. Jede Spende zählt.
Danke, dass du den Unterschied machst.

CHF

Noch mehr kostbares Wissen über Pinsel:

Der richtige Pinsel fürs richtige Ergebnis!

https://blog.herz-der-kunst.ch/der-richtige-pinsel-fuers-richtige-ergebnis/