Kunst und Identität
So hab ich meine Heimatstadt in Erinnerung, der Weg in den Westfalenpark mit Sonnenbrand, Dackel Rudi und Badetasche für uns Kinder, denn es gab Wasserfässer für Seeschlachten auf den Teichen. Das ist mein Lebensgefühl aus den 70er Jahren, doch gemalt hab ich es im letzten Sommer. Diese Art des Lebens ist ein Teil meiner Identität.
Künstler zeigen seit jeher in ihren Bildern wie sie sehen und wie sie denken. Kunst ist niemals frei von Zeitgeist.
Früher waren es oftmals Handlungsreisende und Künstler, die in ihren Skizzenbüchern oder Aufzeichnungen Ideen aus fernen Ländern mitbrachten. Was allerdings von diesen wundervollen Ideen fruchtete, das ist immer ein Mischung aus Glück und Zeitgeist.
Immer dann wenn sich eine Idee explosionsartig verbreitet, dann ist sie auf den richtigen Nährboden gefallen. Meistens ist der Grund, das sich die Zeiten, Ideen oder Lebensumstände der Menschen geändert haben und dann kam die Idee zum rechten Zeitpunkt. So eine Explosion hat in meiner Heimatstadt stattgefunden…aber dazu später.
Eine Idee muss großartig, praktisch oder hilfreich sein.
Neue Ideen verbreiten sich immer dann wie ein Lauffeuer, wenn sie genau das treffen was viele Menschen denken. Oft sind es Philosophien oder Ideen, wie die Renaissance mit ihrem großartigen Menschenbild. Kommt dann das passende Geld hinzu sind Städte wie Florenz oder Siena das Resultat.
https://commons.wikimedia.org/wiki/File:View_of_Florence_from_Piazzale_Michelangelo.jpg
Man kann geradezu sagen eine gute Geographie, Geld und Freigeist sind die Nährböden für großartige Kunstwerke und Städte.
https://commons.wikimedia.org/wiki/File:View_of_Florence_from_Piazzale_Michelangelo.jpg
Es gibt zwei Dinge, die für den Menschen wirklich überzeugend sind, dass eine ist die Schönheit und noch viel überzeugender ist das Brot. Denn Menschen wollen leben. Die Identität wird oft durch das bestimmt was einen ernährt.
Meine Stadt Dortmund wurde von der Kohle geprägt, ganz normal war es, wenn wir nicht mit der weißen Strumpfhose auf die Mauer durften, weil dort der Kohlestaub klebte, denn die Kohle war das Brot.
Epochen, das ist doch ganz normal
Wenn man in die Vergangenheit schaut, kommt einem dies ganz normal vor, denn man selbst sieht nur noch das gute Ergebnis der Vergangenheit, dass dahinter dramatische Umbrüche steckten, das kann man in der Zukunft nicht mehr wahrnehmen. Ein Kunst- oder Baustil ist für uns etwas ganz selbstverständlich, das hat man eben so gemacht.
Ein sehr gutes Beispiel ist die Gotik, ich kenne Niemand der von der atemberaubenden Schönheit der gotischen Kathedralen nicht berührt wird.
Schönheit verbreitet sich eben, aber war das bei uns daheim eine Epoche?
Die Künstler und Handwerker trugen dieses Wissen in ihren Skizzen von Baustelle zu Baustelle und so verbreitete sich die Gotik langsam aber sicher über ganz Europa. Tatsächlich stand dahinter aber wieder der dramatische Umbruch, immer mehr Menschen flüchteten vom Land in die Städte. Wer es lebend in eine Stadt schaffte, konnte es zu etwas bringen. Das war der große Traum der Freiheit und so wurde der Adel ganz langsam entmachtet und in der Stadt brauchte man Kirchen.
Die Städte konnten Kirchen finanzieren, etwas ganz Neues. Es war der Trotz ihrer plötzlich freien Bürger, die die Kirchen in den Himmel streben ließen. Wir machen uns heute nicht klar, dass diese Jahrhundertbauwerke im Grunde alle sehr große STINKEFINGER in der Landschaft gegen den Adel sind.
An solchen wundervollen Bauten fuhren wir auf dem Weg in die Ferien an der Nordsee vorbei.
Das hier ist die Kathedrale von S’Hertogen Bosch, auf dem Dach tummeln sich lauter wundervolle Gestalten, der Bau ist pures Lebensgefühl:
Nach solch prächtigen Epochen, besinnen sich die Menschen oftmals aus purer Not wieder auf die Schlichtheit. Und so wechseln die Epochen ihr Outfit wie die Unterwäsche, mal gibt es großartige bombastische Epochen wie die Renaissance oder die Gotik, dann wieder kommen Epochen deren Baustil bewusst bescheiden ist.
So ergangen ist es meiner Stadt, ehemals stolze Handelsstadt brannte sie im Krieg bis auf die Grundfesten nieder und damit brannte auch meine Familiengeschichte und unsere Häuser.
Beklagt hat sich keiner, praktisch waren alle. Es ging in meiner Jugend um Häuser bauen und Ausflüge in den Westfalenpark mit Picknicktasche.
Kunst und Kultur das ist Meinung
Kunst und Kultur das sind Meinungen und Meinungen können sich schnell ändern.
Plattenbauten waren in der DDR der neueste Schrei und tatsächlich der begehrteste und modernste Wohnraum.
Ich bezweifele das diese Idee in 500 Jahren noch steht. Auch meine Heimatstadt war nicht gerade eine Schönheit, mehr zweckmässig als schön. Wir lebten dann irgendwann in einen der grünen Vororte, doch die Heimatstadt blieb Dortmund.
Zeugen epochaler Umbrüche
Wenn man selbst zum Zeuge eines epochalen Umbruchs wird, dann ist es ein durch und durch komisches Gefühl. Eine Epoche in der Vergangenheit kommt einem so normal vor, es ist doch ganz selbstverständlich das Kunst und Städtebau sich verändern.
Wenn sich die eigene Stadt umgekrempelt, wie ein Wurm zum Schmetterling, dann ist das völlig unerwartet.
Ich könnt mich in den Hintern beißen dass ich nicht viel früher begonnen habe meine Stadt zu dokumentieren.
Heute hilft mir das Skizzenbuch all diese Umbrüche zu verdauen, wenn ich in der Heimat bin, dann setze ich mich ins Auto fahren einen Ort meiner Kindheit und zeichne, wie es jetzt da ist.
Gefühlsmässig gibt es meine Heimatstadt nicht mehr.
Ich merke wie verwirrt die alten Leute sind, dort wo ich herkomme, da hatten wir ein Herz aus Kohle und Stahl. Aber das ist heute nicht mehr so, wir Kinder sind alle in anderen Berufen und so starb meine Welt innerhalb von ein paar Jahren. Bergbau das gibt es nicht mehr.
das Zeichnen der Umgebung von Industriebauten ist interessant, das was man für hässlich hielt fehlt einem jetzt!
Jeder Blick ist anders!
Da wo ihr das Stahlwerk seht ist heute blauer Himmel, alles weg. Es steht jetzt in China.
Ist das verrückt!? Meine Stadtsilhouette steht jetzt in China!
Die Dortmunder selber haben sich sicher längst daran gewöhnt, doch ich bin verwirrt. Häufig gab es zwei Sonnenuntergänge, wenn der Hochofen geöffnet wurde, dann wurde es am späten Abend wieder taghell der Himmel glühte. Wenn der Himmel rot wurde wie der Vorhof der Hölle, dann wusste ich, ich muss die Beine in die Hand nehmen, denn jetzt muss ich ins Bett.
Das Motto der Generation meiner Eltern war:
Jetzt wird in die Hände gespuckt, wir steigern das Bruttosozialprodukt!
Manchmal rieselte Asche vom Himmel und die Erde meiner Stadt war zu großen Teilen verwüstet. Doch tatsächlich merkten wir das nicht, wir spielten glücklich zwischen den Rosen. Ich kann mich an die Rosen erinnern, Rosarium nannte sich das in den 70igern Die Silhouette des Stahlwerks habe ich ausgeblendet, irgendwie unsichtbar. Aber an den Duft meiner Lieblingsrose kann ich mich erinnern.
Der zweite Sonnenuntergang, den es heute nicht mehr gibt, ist für mich so normal, dass ich den Himmel in Dortmund immer Orange malen will!
Die Kunst ist für mich ein wichtiges Mittel diese Umbrüche zu verdauen. Meine Identität wurde durch diese Stadt bestimmt. In Dortmund wurde großes geleistet und das ist gut so! Aber verwirrend ist es.
Hier seht ihr wie ein riesiger See, der Phönixsee, durch einen sauberen Fluss geflutet wird, der war in meiner Kindheit allerdings so giftig, das wir schon Ärger bekamen wenn wir uns in die Nähe wagten, deshalb verlief er meist unterirdisch in Rohren.
Heute ist an dieser Stelle nach dem man 250.000.000 Kubikmeter Erde bewegte, ein wunderschönes Naherholungsgebiet ein riesiger See und eine neue Stadt.
Touristen gibt es jetzt bei uns, unfassbar!
Das Blöde ist, ich verlaufe mich in meiner Geburtsstadt, die Straßen meiner Kindheit gibt es nicht mehr. Gerade deshalb ist es so wichtig, wenn wir mit unseren Skizzenbüchern unterwegs sind, dass wir einfach drauf loszeichnen. Kunst ist ein Zeitzeuge.
Da wo einmal Altlasten waren, verbrannte Erde, da ist jetzt was Zauberhaftes. Als junge Städtebauerin habe ich genau das vehement gefordert, wir wollten den Umbruch zum Schmetterling!
Super gemacht, aber jetzt muss ich es verdauen….. Womit mal wieder bewiesen wäre, Kunst ist mehr als malen…. Zum Thema Identität: Wir sind heute Jemand anders und deshalb ist unsere Stadt Jemand anders. Irgendwie erschreckend schön, mein Stift wird unsere neue Identität erforschen.
Liebe Grüße aus Zürich ins Heimatland
Tine Klein
Demnächst bin ich auch mal wieder im Norden oder Zuhause mit Skizzenbuch unterwegs, ich freu mich auf Euch in Bremen und in Düsseldorf.
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https://blog-herz-der-kunst.ch/schoen-was-ist-schon-schoen/