Porträtieren :
Menschen interessieren Menschen
Das macht es uns Zeichnern einfach. Doch jahrelang plagen wir uns mit absoluter Ähnlichkeit, bis wir merken: Die tollsten Porträts sind Spiegel der Seele.
Füllhalter- und Aquarell-Porträt von Tine Klein: Meine Freundin in Rotweinstimmung, sie hat was Interessantes erspäht.
Wenn man anfängt, Menschen so darzustellen, dass man Gefühle, Gesten oder Situationen zeigt, dann ist das richtig, einfach und macht auch Freude. Meine Bilder zeigen oft meine Sehnsüchte. Doch lange Jahre hab ich mich mit dem Ziel absoluter Ähnlichkeit geplagt.
Dummerweise gleitet aber fast jeder in die Falle der Ähnlichkeit ab.
Gerade Anfänger wollen immer absolut ähnliche Porträts malen. Warum, weiß ich eigentlich nicht so genau, denn diese Bilder interessieren eigentlich niemanden, außer vielleicht die, die diese Person wirklich lieben. Gleichzeitig regen sich die Leute, die diese Person wirklich kennen, aber total über winzige Abweichungen im Gesicht auf. Kurz zusammengefasst, das ähnliche Porträt interessiert keinen und ist für ungeübte Maler der direkte Weg ins Höllenfeuer.
Doch dies hat noch niemanden davon abgehalten, sich wie die anderen Lemminge von der Klippe zu stürzen.
Portraitmalen lernen, des Wahnsinns erster Akt:
Es gibt Situationen, da frage ich mich, warum ich eigentlich kein Orchester im Atelier habe.
Immer wenn es um die tragischen Mythen der Menschheitsgeschichte geht, dann bräuchte man doch zumindest ein Symphonieorchester, das die Handlungen mit dramatischer Musik untermalt. Oder ist Odysseus jemals auf die Sirenen zu gesegelt, ohne dass jemand dramatisch eine Geige quälte? Komisch, bei mir ist das nicht so, wenn es um die wirklichen Dramen in einem Atelier geht, dann springt kein 150-köpfiges Symphonie-Orchester aus der Ecke, obwohl die Situation es wahrlich verdient hätte.
Nein, die wahrlich tragischen Ereignisse schleichen sich langsam, unauffällig heran. Zum Beispiel in Form einer liebenswürdigen Großmutter, die zu ihrer ersten Mal-Stunde mit einem gespitzten Bleistift und dem Foto ihres Enkels anrückt.
Der feste Vorsatz:
Ich möchte meinen geliebten Enkel malen, und zwar ganz, ganz ähnlich
Vier Stunden später hat sich die niedliche Großmutter in einen nörgelnden und höchst aggressiven Reiter der Apokalypse verwandelt. Noch schlimmer sind die, die nun in tiefe Depressionen stürzen und jedes Lebewesen im Umkreis von einigen 100 m in die völlige Verzweiflung treiben, und das alles ohne eine anständige dramatische musikalische Untermalung.
Kurz gesagt: Omi hat gerade gemerkt, dass man sich mit dem Porträtzeichnen so richtig quälen kann.
Portrait zwischen Glück und Wahnsinn
Porträtzeichnen kann so richtig glücklich machen. Es macht Spaß, das Menschliche festzuhalten, doch dabei porträtiert man eher die Situation oder das menschliche Verhalten. Sobald es allerdings darum geht, den Menschen absolut genau zu zeigen, verschwindet diese Leichtigkeit zugunsten von leichtem Augenzucken, was sich unbegrenzt steigern lässt.
Richtig gute Porträtzeichner sind oft richtige Freaks, sie haben sich darauf spezialisiert, Gesichter ganz genau zu malen. Dies verlangt eine hohe Anstrengung, und sie sind enorm stolz darauf, dass sie computer- millimetergenau zeichnen können.
Oftmals findet man diese Meister des Porträtieren in Fußgängerzonen oder an touristischen Attraktionen und muss feststellen, die Bilder sehen irgendwie seelenlos aus.
Absolut tolles Handwerk und trotzdem seelenlos -Perfektion, eine Quelle der Enttäuschung?
Kunst ist eben kompliziert, Handwerk ist der eine Teil, Ausdrucksstärke der andere. Und wenn man sich so unglaublich stark auf jeden Millimeter konzentrieren muss, dann geht eben ganz beiläufig die Ausdrucksstärke flöten.
Ein Teufelskreis? Was nun? Selbst Perfektion scheint, das Porträt nicht glücklich zu machen. Eine Lösung sind Bilder, die erzählen.
Ich selbst bemerke das mir Portraits nebenher oft am besten gelingen. Mit Spass und spielerischen Elementen. Hier zum Beispiel Giacometti mit Wollhaaren.
Mit Spaß zum Gesicht
Einer, der das kann, ist Elmar Huxoll. Ich bin ein Fan. Elmar ist in Spuckweite von mir geboren, vielleicht liebe ich deshalb seine Kunst so sehr, weil da ein Stück Heimat drin steckt. Unsere künstlerischen Lebenswege gleichen sich sehr. Zuerst mal ein Beruf mit Kunst, doch zum Broterwerb geeignet. Elmar ist Textil Designer, doch die Kunst bleibt bei uns immer irgendwie triebhaft.
Wie viele Künstler unserer Zeit und in meinem Freundeskreis arbeitet Elmar mit Material, dass man ganz praktisch mit ins Leben nehmen kann.
Kunstmaterial für das Zeichnen und Malen, nicht zum Angeben.
Elmar Huxoll, ein Meister des schnellen Selbstportäts
Hier ein paar Selbstportraits von Elmar, die sind so gut, weil sie Gefühle enthalten:
Elmar ist zufrieden! Und an anderen Tagen eher nicht!
An anderen Tagen ist er müde:
mal fragt er sich?
Und er erzählt was über seine Gelüste:
Und die einfachen Dinge des Lebens:
Die Selbstportraits von Elmar sind so gut, weil er sich traut etwas zu erzählen. Es braucht Mut Gefühle preiszugeben.
Eine kurze Frage? Habt ihr das Gefühl, dass ihr diesen Menschen gut leiden könnt? Jetzt mal ganz ehrlich, ihn muss man doch lieben! Denn diese Gefühle kennen wir alle!
Emotionen im Porträt:
Elmar beweist, dass man für ein gutes Porträt nix weiter als die Emotion braucht.
Mann sieht nichts, aber die Emotion ist da!
Habt ihr schon mal dieses Gefühl bei einem dieser super, super exakten Portraits, die man in touristischen Fußgängerzonen kaufen kann, entwickelt?
Nein?, dann könnte es daran liegen, das diese Portraits unmenschlich und sinnentleert sind!
Der Tipp für das Porträt: Leben statt Pedanterie
Wenn man mich fragen würde: „Warum findest Du die Portraits von Elmar Huxoll gut?“, dann würde ich sagen, weil man ganz genau den Menschen erkennt, und zwar über sein Gefühl und seine Eigenarten.
Elmar, Hingucker, locker hingeworfene Portraits zeigen Menschen in Action.
Ihre Stimmungen und Launen. Ein fettes Grinsen ist auch fett!
Und Blicke sind manchmal unergründlich:
oder man traut es sich nicht zu sagen: auch mal wirklich böse:
Form, Farbe und Gefühle
Elmar arbeitet nach dem Grundsatz:
Viel hilft nicht viel.
Die Stimmungen und Menschen sprechen für sich selbst.
Gerade dann, wenn sich Farbe und Gefühl verbinden, werden die Bilder stark.
Deshalb sind seine Zeichnungen Sex, Drugs und Rock´n´Roll für mich. Auch wenn Elmars Kunst ganz anders ist als meine, ich liebe sie.
Da steht nicht ein stocksteifes Modell, sondern ein Mensch!
Mir ist zwar manchmal unbegreiflich wie eine so dahingeworfene Linie so viele Gefühle enthalten kann. Aber irgendwie ist da der Zauber des Einfachen am Werk,
Was kann man von Elmar Huxoll lernen:
Wenn ihr porträtieren lernt, dann macht euch nicht verrückt mit absoluter Genauigkeit.
Es gibt etwas, was viel, viel wichtiger ist als Genauigkeit, das ist das Gefühl.
Wie man an diesem kleinen Potpourri sieht, sind diese Porträts niemals langweilig. Betrachter müssen dort immer hinsehen. Emotionen, Lüste, Liebe, Pleiten, Pech und Pannen, Das pralle Leben ist weiß Gott viel interessanter als ein steifes, aber perfektes Porträt.
Wenn ihr porträtieren lernt, dann steckt alle Kraft und Macht, die euch zur Verfügung steht, ins Gefühl.
Es gibt viele Menschen, die sich solche Kunst nicht erlauben würden, weil sie die Sicherheit der Ordnung und Anerkennung brauchen. Das Verrückte ist, dass gerade diese Menschen niemals wirklich interessante Porträts machen können, denn sie suchen über die technische Perfektion immer eine Art Rückversicherung. Dabei ist aber das Gefühl etwas, das überhaupt keine Rückversicherung von anderen braucht.
Deshalb bleiben Künstler wie Elmar außergewöhnlich, sie haben dies erkannt, man muss dem mumm haben nicht der absoluten Schönheit nach zu hetzen.
Der beste Tipp:
Vergiss das Porträt und nimm das Menschliche ins Zentrum
Dann kommt das Porträt von selbst. Man braucht für ein Porträt nicht mal ein Gesicht, wer Teenager hat kennt das genau:
Ein 15 jähriger Gammelfleisch-Skandal!
Schnapp dir einen Kugelschreiber und leg los.
Liebe Grüße ins Wochenende
Tine
Zeichenunterricht und Kontakt zu Elmar:
Elmar lebt in einer kleinen Stadt vor den Toren von Berlin.
https://www.facebook.com/elmar.huxoll
Auch bei mir läuft gerade noch der letzte Portraitkurs des Jahres, ich befürchte, er ist wie immer ausverkauft. Aber meldet euch ruhig dennoch an, wenn es im Frühling mit Corona besser wird, kann es einen erneuten Kurs geben. Ich verlinke selten Kurse, weil wir viel mit Warteliste arbeiten.
Quellen: Alle Bilder außer das erste Bild und der Giacometti sind von Elmar Huxoll. Ein fettes Dankeschön an Elmar.
Weiterlesen zum Thema Porträt:
In diesem Blog geht es um die Schraffur im Gesicht:
https://blog.herz-der-kunst.ch/schraffieren-lernen/
Tine, das war wieder auf den Punkt! ich musste so grinsen…
Danke schön, nix ist merkwürdiger als das Leben! Liebe Grüße Tine
Haha, ein super Artikel!!! Und so wahr! Prima, danke für den Text und die ulkigen Bilder!
Danke dir herzlich! Wenn mal was so richtig herzig ist, dann das Leben. Ulkige Bilder treffen das Leben, besser als steife! Liebe Grüße Tine
Genau!