Malen und Sehen hängen eng zusammen:
Ist dir schon einmal aufgefallen, dass wunderbar genau gezeichnete und gemalte Bilder nicht so gut aussehen wie erwartet?
Das könnte daran liegen, dass diese Bilder eine Wirklichkeit zeigen, die nicht unseren Sehgewohnheiten entspricht.
Wir vergessen oft, dass der Mensch immer nur ein kleiner Teil des Großen und Ganzen ist, und so sieht der Mensch auch.
Der Mensch ist nicht in der Lage die ganze Wirklichkeit mit einem Blick wahrzunehmen! Die Welt ist zu groß und es gibt zu viele Dinge zusehen! Deshalb konzentrieren wir und der Brennpunkt des Auges erlaubt es uns nur einen kleinen Ausschnitt der Welt zu sehen.
Und doch malen und zeichnen wir ein bisschen hochmütig, als könnten wir mit den scharfen Augen eines Raubvogels alles sehen!
Dieses überladen von Bildern erfolgt nicht aus Hochmut, denn die meisten Kreativen sind die nettesten Menschen, die man sich denken kann. Wir malen so, weil wir unsicher sind!
Wir möchten ein gutes und ordentliches Bild machen!
Weder Malen noch Sehen sind einfach! Deshalb neigen Maler und Zeichner dazu, ihre Motive in kleine Stücke zu zerlegen, denn dies erscheint als die beste Methode um alles beim Malen besser zu kontrollieren.
Generell sind die meisten Menschen beim Malen totale Kontrollfreaks.
Im Laufe unseres Lebens haben wir es gelernt Fehler zu vermeiden. Wir haben gelernt, dass uns der Sturz mit dem Fahrrad weh tut, bemerkt dass die anderen lachen, wenn wir etwas nicht können, und wir mussten mit der Enttäuschung unserer Eltern umgehen, wenn wir nicht gut lernten.
Keine Fehler machen, das ist die Erkenntnis unseres Lebens!
Gerade beim Malen schlägt diese Eigenschaft sehr zu. Wir sind sehr korrekt, denn wir haben bemerkt, dass wir durch Fehler mehr Arbeit haben, oder Bilder ruinieren.
Generell scheint der Gedanke vollkommen absurd, in ersten Schritt unserer Malerei Fehler zuzulassen.
Wir versuchen doch immer unser Bestes zu geben.
Aber so absurd wie es scheint, wie wäre es Fehler in unserem Bild zuzulassen? Was würde passieren, wenn wir uns trauen die Farbe loszulassen? Es wäre gut, denn unser Auge sieht unscharf. Und der Betrachter ist dir dankbar, wenn er einen normalen Blick sieht und nicht das Adlerauge eines Malers!
Deshalb können wir im ersten Schritt des Bildes so glücklich malen wie Kinder!
Mach es dir einfach! Denn der Mensch sieht nicht genau!
Wie funktioniert unser Blick?
Die Art wie wir sehen legt einen völlig anderen Malstil nahe. Der Mensch sieht nicht wie ein Raubvogel.
Wenn du kein Wunder bist, kannst du keine Maus in 700 m Entfernung erkennen.
Weder Malen und Sehen müssen ganz genau sein. Und trotzdem malen wir so als ob! Weil wir alles gut machen möchten, versuchen wir noch Fenster genau zu malen, die wir längst nicht mehr beachten würden, wenn wir wie ein normaler Mensch schauen.
Doch das ist unnatürlich, denn der Mensch hat nur ein kleines Blickfeld, in dem er scharf sieht.
Blickfeld und Peripheres Sehen:
Der Mensch hat ein zentrales Sehfeld, auf das er sich konzentriert, um Details und Farben wahrzunehmen. Das periphere Sehen hingegen ist unscharf und weniger farbsensitiv. In dieser Zone können Bewegungen und grobe Umrisse wahrgenommen werden, aber feine Details werden vernachlässigt.
Fakten über das periphere Sehen: Malen und sehen
- Erstens Unschärfe: Die Auflösung des peripheren Sehens ist deutlich geringer als die des zentralen Sehens. Feine Details, klare Konturen und scharfe Kanten werden in diesem Bereich nicht so deutlich wahrgenommen.
Merke: Du kannst ungenau und verschwommen Malen! Dein Betrachter wird dies akzeptieren, weil er selbst so sieht!
- Zweitens Umrisserkennung: Obwohl die Feinheiten von Objekten im peripheren Sehen nicht klar erkennbar sind, kann man grobe Umrisse und Formen wahrnehmen. Dadurch können wir eine allgemeine Vorstellung davon bekommen, was sich in unserem Sichtfeld befindet, ohne es direkt anzuschauen. Dies ist die wichtige Erkenntnis für das Malen.
Gerade weil wir Perfektionisten sind, ist es schwer zu begreifen Oft mal reichen grobe Umrisse für ein tolles Bild.
Merke Ungenauigkeit und Unschärfe verbindet Bilder zu einem natürlichen Blick.
Die Ungenauigkeit, Unschärfe und Verbindung der Farbe tragen zu einem harmonischen Bild bei.
Wo sehen wir scharf und wo ist Unschärfe in der Malerei erlaubt?
Der Mensch sieht ca 180 Grad! Er sieht jedoch nur ein einem kleinen Teil scharf.
- Das zentrale Sehfeld macht ungefähr 2 bis 5 Grad unseres Gesichtsfeldes aus. Das bedeutet, dass der Bereich, auf den wir unseren Blick direkt fokussieren können, etwa dem Blickfeld entspricht, das wir haben, wenn wir einen Punkt anstarren und die Augen ruhig halten. In diesem Bereich haben wir die höchste Detailgenauigkeit und Farbwahrnehmung.
Merke: Es ist wichtig das du deinem Betrachter ein Bildzentrum anbietest. Hier sind eine wunderbare Farbigkeit und Vielfalt und Genauigkeit sinnvoll.
- Peripheres Sehen: Das periphere Sehen umfasst den Rest des Gesichtsfeldes außerhalb des zentralen Sehens. Es kann je nach Quelle und Kontext etwa 175 bis 180 Grad oder mehr ausmachen. Das periphere Sehen bietet ein großes Gesichtsfeld, aber die Auflösung und Farbwahrnehmung sind hier deutlich geringer als im zentralen Sehfeld.
Merke: Du bist frei, bei einem Blick, sieht der Mensch nicht viel! Du kannst viele Dinge in Bildern einfach ausblenden oder verschwimmen lassen. Dein Betrachter wird es akzeptieren.
Die wichtigste Erkenntnis ist, dass du dich nicht selbst bei jedem Fehler beschimpfen musst.
Fehler sind Definitionssache -Farbe darf frei sein:
Ist dir schon einmal passiert, dass du Dich über ein Bild geärgert hast? Und die anderen fanden dein Bild trotzdem gut?
Wir Definieren alles, was nicht nach unserem Plan läuft als Fehler!
Ob etwas ein Fehler ist, hängt mehr mit unseren eigenen Ansprüchen zusammen als mit dem, was tatsächlich ist!
Tatsächlich hängen Fehler stark davon ab wie man selbst sozialisiert wurde.
Ein Architekt, der Zeit seines Lebens Angst vor Bauschäden hatte, wird es beim Zeichnen schwer haben, ein Fenster wegzulassen. Auch ein Buchhalter, der Zeit seines Lebens korrekt sein musste, wird Probleme haben ungenau zu sein.
Doch wer die Farbe frei lässt, wird erkennen, dass sie ihre eigenen Gesetze hat.
Denke immer daran 175 von 180 Grad unseres Blickfeldes sind ungenau.
Farbe braucht keine genauen Formen, um Gefühle und Informationen zu übermitteln.
Tatsache ist, dass sich die Farbe enorme Regelverstöße erlauben kann, ohne, dass die Informationsübermittlung im Bild gestört wird.
Man kann die Farbe im wahrsten Sinne des Worts laufen lassen.
Wenn Farbe aus einem Motiv ausbricht, dann betrachten wir das als Fehler. Doch wenn sich die Farbe nicht an die Form hält, dann kann sie ihre Emotionale Wirkung besser ausüben.
Nur die Groben Formen müssen erkennbar sein!
Eigentlich ist dieses Bild eine Ansammlung von Fehlern und doch wirkt es stark!
Wer begriffen hat, dass Farbe Freiheit braucht, der versucht sie loszulassen, doch…
Die Farbe freilassen ist schmerzhaft!
Gerade weil man Angst hat Fehler zu machen, braucht es eine enorme Überwindung, Farben unkontrolliert laufen zu lassen.
Die Angst chaotischen Unfug zu produzieren ist einfach zu groß!
Erst wer den Sprung wagt wird merken!
Oh! meine Bilder gewinnen, sie werden besser!
Freiheit ist gut! Doch jede Freiheit hat eigene Regeln!
Mein Tipp ist, bleibe bei der zentralen Sache.
Findest du etwas schön, bedeutet es dir etwas, dann zeige es liebevoll und genau.
Was du damit tust, ist dem Betrachter zu zeigen, wo du hinguckst!
Was interessiert mich der Fußboden? Dort wo ich wenig Interesse habe, lasse loss!
Wichtig ist allerdings das die losgelassenen Bereiche keine zerstörerische Wirkung auf die wichtigen Bereiche haben.
Merke: am Rand des Interesses und Sichtfeldes löst sich die Farbe und Form auf!
Der Workshop in Świdnica -Polen:
Du bist frei und trotzdem geborgen!
Große Teile des Sichtfeldes sind unscharf und deshalb dürfen wir malen wie die Kinder.
- Wir lernen die Farbe in einem einzigen großen unscharfen Klecks aufzutragen.
- Ein wenig Farbtheorie hilft uns beim Malen keine schmuddeligen Farben zu erzeugen.
Im zweiten Teil des Workshops beim Sketchfestival in Polen lernen wir, wie man aus dem Farbklecks ein schönes definiertes Bild macht.
Wir fügen Schatten und Details zum Bild hinzu, damit die wichtigen Bereiche des Bildes schön werden. Wie unser Blick der im Blickfeld genau und farbenfroh ist.
Bilder werden durch dunkle Farben definiert!
Das Schöne ist, das man zuerst nur einen farbigen Klecks malen muss. Die Farbe arbeitet für uns. Doch dort, wo wir genau hinsehen, darf unser Bild genau werden.
Hier hilft uns der Stift, dunkle Farben und Schatten, um genaue Formen zu zaubern.
Wie setzt man dunklen Farben am besten ein?
Oft reicht es schon, wenn man ein Motiv im Blickfeld mit ein paar dunklen Strichen definiert, dies sieht man am Glockenturm. Obwohl das Gelb ausgelaufen ist, wird der Turm durch die Striche und den Schatten sichtbar.
Eine super Möglichkeit ist das man das Motiv von außen malt. Man malt die Dunkelheit neben dem Motiv und das Motiv entsteht wie von Zauberhand von selbst. Das sieht man links. Nicht die Kirche wurde gemalt, sondern der Baum. Wichtig, eine scharfe Kante entsteht nur dann, wenn das Papier trocken ist.
Dies sieht man ebenfalls am Brunnen. In den Bereichen außerhalb des Blickfeldes lässt man die Farbe laufen. Baum ganz links.
Wir sieht man das Spiel aus großer Grundform und Genauigkeit durch den Stift.
Wenn man Farbe laufen lässt, dann möchte man schöne Farben wie hier.
Lösungen für die Freiheit der Farbe! Malen und Sehen
Gefahren Punkt – Komplementäre Farben.
Malen und Sehen beruhen auf Vergleich.
Immer dann, wenn man Farben frei laufen lässt, dann gibt es ungewollte Vergrauungen.
Die Farbe sieht leider aus wie Erbsensuppe!
Dem immer dann, wenn komplementäre Farben ineinanderlaufen, entstehen graue Stellen, schwarze oder hässlich braune Stellen.
Die eine Farbe eliminiert die andere durch entgegengesetzte Wellenlängen.
Nun stellt man sich die Frage wie kann ich frei und glücklich arbeiten, wenn doch ständig die Gefahr von grauer oder hässlich matschiger Farbe besteht?
Komplementärfarben vermeiden.
Man arbeitet auf einer Seite des Farbkreises zum Beispiel von gelb bis Rot. Hier entstehen keine matschigen Farben.
Tipp: Komplementärfarbe wird dann erst in einem 2. Schritt benutzt. Trocknen lassen ist besonders wichtig!
In Bereichen, wo die Farbe strahlen soll, darf nicht mit Komplementärfarbe gemalt werden, wenn die Farbe noch feucht ist.
Jede Farbe hat ihren Platz:
Es ist sinnvoll, wenn man großzügig Bereiche definiert, wo nur Farben sind, die untereinander schöne Mischfarben erzeugen. Kontraste mit Komplementärfarben setzt man später, oft auch erst nach dem Trocknen.
Brückenfarben:
Das Problem mit der Vergrauung löst sich schnell, wenn man sich Gedanken über eine farbliche Brückenlösung macht. Das Rot soll sich nicht mit dem Grün mischen. Dann muss eine Farbe dazwischen, die mit beiden Farben kein Grau bildet.
Ich freue mich unendlich auf euch!
Liebe Grüße nach Polen
Tine
Viele Umarmungen an das großartige Organisatoren Team in Świdnica, denn ohne eure Hilfe hätte ich den Besuch bei euch nicht geschafft!
Was ist Wissen wert?