Bildsprache: Kurs des Jahrestreffen der deutschen Urban Sketcher
Ein Autor malt Bilder mit Worten. Ein Maler schreibt Geschichten mit Bildern.
Tine Klein
Zeichnen ist eine Bildsprache
Malen ist eine Sprache. Während ein Autor mit Wörtern arbeitet, arbeitet ein Zeichner oder ein Maler mit einer Bildsprache. In dieser Sprache erzählt man die Geschichten und die Seele eines Ortes. Wenn Zeichnen eine Sprache ist, dann fragt dich doch einmal selbst, ob du genau das zeichnest, was du auch über einen Ort erzählen würdest?
Die drei häufigsten Sprachstörungen mit Stift:
Das Buchhaltersyndrom
Die meisten Anfänger flüchten sich in die Buchhaltung. Sie vermuten, wenn man alles abzählen kann, dann entspricht die Zeichnung auch dem Ort. Buchhalter sind jedoch in den seltensten Fällen Bestsellerautoren. Würdest du bei deiner Urlaubserzählung bei jeder einzelnen Straße darauf hinweisen, wie viele Fenster sie hat?
Tipp: Reduzieren, dafür mehr Information
Wimmelbild
Ein anderes Problem ist mangelndes Informationsmanagement. Der Zeichner ist unsicher und möchte nichts falsch machen, deshalb zeichnet er alles mit gleicher Aufmerksamkeit. Dabei geht allerdings die Liebe verloren, alles kann sehr beliebig werden, eine Massenproduktion. Die Zeichner fühlen sich gut, weil sie glauben den Ort wirklich korrekt wiederzugeben. Dinge die in der Realität unbeachtet in der Ecke stehen, werden dabei genauso wichtig wie das Schönste des Ortes.
Das würde sich dann so anhören:
Eimer, Müll, Deckel, Klappmechanismus, Chrom, Orange, Inhalt 10 l, Halterung, fünf Schrauben!
Wer so im Alltag spricht hat eine Schraube locker.
Tipp: Prioritäten setzen, zeigen was du liebst und eine reduzierte Sprache für Unwichtiges entwickeln.
Bombenalarm Bild
Andere Zeichner wiederum lassen alle normalen Dinge des Alltags komplett weg, einfach nicht hübsch genug. In diesen Bildern entsteht dann der Eindruck einer Stadt nach einer schrecklichen Katastrophe. Die Bewohner sind geflüchtet und haben alles was nicht Niet- und Nagelfest ist mitgenommen.
Lösung: Das Leben in all seinen Facetten andeuten. Ein bisschen vom Leben gehört in jedes Bild
Bildsprache und Kommunikation
Das Geheimnis ist: Wer toll Malen oder Zeichnen will, muss ganz schnell lernen wieder normal zu sprechen. Am besten sind Bilder, wenn in ihnen gleichzeitig charmant und doch informativ gesprochen wird. Ich möchte euch das hier mal an einem Beispiel zeigen, wie sich diese Sprachstörungen mit Stift auswirken:
Bildsprachen
Sobald man dem Ort einen Umriss gegeben hat,
darf man anfangen wie ein Schriftsteller zu erzählen.
Bildsprache und Aussage
Das was du zeichnest, erzählt auch die Geschichte. Wer erzählt, der kommuniziert.
Hier hat ein Schüler von mir in einer Zeichnung 52 mal Fenster geschrien, das ist ein wenig wie ein Tourette-Syndrom mit Stift.
Jetzt mal ehrlich, würde sich nicht jeder bei einer Urlaubserzählung in dieser Art, bei der Betrachter nur alle Fenster aufzählt, veralbert vorkommen?
Kann weniger mehr sein?
Der beste Tipp beim Entwickeln einer Bildsprache ist: Lieber wenige und dafür aussagekräftige Informationen.
Wenn man etwas zeichnet, dann sollte man immer kommunizieren. In meiner Zeichnung habe ich viel weniger hinzugefügt, aber das was ich gemalt habe, hat eine Aussage.
In Spanien scheint die Sonne! Es gibt Schatten. Weil es so heiß ist, haben alle Fenster Lamellen. Wegen der Hitze sind die Fenster klein und tief. Der Putz an der Kirche hat gebröckelt und ich mag die Jungendstilverzierung. Man glaubt nun, dies sei mehr als in der Zeichnung oben, weil das Bild mehr aussagt, dies ist aber alles was hinzukam:
Schaut mal her, die Grundzeichnung wurde nur durch einige wenige Details ergänzt auf keinen Fall mit 52 Fenstern.
Wer hat mehr über den Ort erzählt? Der Punkt ist das zu lernen, du musst mit deinem Stift genauso sprechen, als wenn du etwas erzählen würdest. Eine Bildsprache entwickeln, heißt im Grunde ganz normal reden. Schau mal hin, es gibt hier wichtige und unwichtige Fenster.
Erinnern ist die Mutter des Abstrahierens
Wenn du deine Urlaubserzählung startest, dann erzählst du ja auch nur das, was du erinnerst und das was dich besonders beeindruckt hat.
Die erfolgreichsten Bilder entstehen, wenn man eine ganz klare Vorstellung davon hat, was man eigentlich zeigen möchte.
Deswegen teste durch Weggucken an was Du dich erinnerst!
Bei mir hat die Kunsthalle nur 5 Bögen, es sind 7! Die anderen sehe ich nicht.
Nur das, an was Du dich erinnerst, hat dich berührt und ist damit absolut wichtig! Den Rest kannst du behandeln, wie einen Statisten, du setzt es ein um das Hauptmotiv zu stützen.
Watzlawik: Der Zwang zur Sprache:
Nachdem du die Proportion hast, musst du anfangen Entscheidungen zu treffen. Wenn man sich um die Entscheidungen drückt, passiert etwas sehr Unangenehmes,
Der Haken an der Sache ist: Man kann nicht, nicht kommunizieren. (Siehe Theorem v. Watzlawik)
Keine Entscheidung heißt, du kommunizierst dem Betrachter, dass alles absolut gleich wichtig ist.
Wenn das passiert, ist es dumm gelaufen!
Malst du so, als wenn alles gleich wichtig wäre, dann verliert das wichtige seine Bedeutung
Die Stimmung darf nicht in einer Flut unwichtiger Details untergehen! Deshalb muss man eine Bildsprache entwickeln. Das Ziel dieses Workshops ist eine klare Message als Bildaussage zu erzielen!
Bildsprache oder Visual Vocabulary
Eine Bildsprache entwickeln heißt, festlegen was wichtig ist.
Der Zeichner betreibt Informationsmanagement, er gibt nur die wichtigen Informationen an seinen Betrachter weiter.
Das Schwierigste ist beim Entwickeln einer Bildsprache, nicht der Versuchung zu verfallen wieder alles ganz genau machen zu wollen, denn man will ja nicht die wichtigen Informationen unter einer Lawine begraben werden.
Faustregel: Das was wichtig ist oder das was du liebst wird betont, das Unwichtige wird vergessen
Durch dieses Informationsmanagement begreift der Betrachter mühelos welche Geschichte wir ihm erzählen wollen.
Die Darstellung eines Gegenstandes verändert sich grundlegend dadurch, ob er wichtig fürs Bild ist oder nicht.
Ist ein Fenster für das Bild unwichtig, dann darf es nahezu unsichtbar werden oder weggelassen. Man malt im Grunde Stenokürzel, die dem Betrachter alles mitteilen, jedoch nicht die Regie übernehmen. Das Wichtigste ist, dass man ganz klar Unterschiede zwischen Wichtigem und Unwichtigem zieht. Andeuten, weglassen und zitieren sind die Maßnahmen bei Unwichtigen. Bei Unwichtigem gilt Grundform, aber kein Schnickschnack. Ein Ziegelstein anzudeuten ist wunderbar, das reicht dem Betrachter, man muss nicht zehntausende malen.
Does and Don’ts
Für Unwichtiges gelten die folgenden No-Goes:
• dunkle Farben, denn diese sorgen für Dominanz
• Starke Strukturen
• Harte Ecken
Besser ist:
• Andeuten, zitieren und keine starken Kontraste
Bei wichtigen Details ist nahezu alles erlaubt. Hier dürfen der Stift und auch die Farbe echte Kapriolen schlagen. Besonders wirkungsvoll ist es diese Details stark auszuarbeiten, weil bei Wichtigem ist es sehr wichtig Kontraste an zu häufen:
• starke Strukturen
• Farbkontraste
• deutlich sichtbares
• Licht und Schatten
• mache es so sexy wie möglich, der Stift darf Kapriolen schlagen
Der wichtigste Tipp ist: Tue es mit Liebe!
Selbst auf dem kleinstem Raum ist Platz um eine Geschichte zu erzählen. Diese Zeichnung ist winzig, kleiner als ein Handteller, trotzdem ist Platz, so dass man genau die Identität des Ortes erkennen kann. Man kann den Baustil sehen, das Leben am Ort und die Pflasterung. Nimm dir den Raum, den du brauchst um das was du liebst zu zeigen. Habe den Mut dafür Unwichtiges auszulassen. Jedes Fenster ist anders.
Ganz herzliche Grüße Tine